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Mosse-Erben fordern Raubkunst-Rückgabe - Mosse heirs demand restitution of looted art

1998
1970
1945
Berliner Zeitung 21 July 2014
Von Andreas Förster


Rudolf Mosse trug eine Kunstsammlung von großem Wert zusammen.

Ein neuer Raubkunst-Fall in Berlin: Zwei altägyptische Objekte im Neuen Museum stammen womöglich aus der von den Nazis enteigneten Kunstsammlung des jüdischen Zeitungstycoons Rudolf Mosse. Die Erben fordern die Kunstgegenstände zurück.

Die spektakuläre Neuerwerbung war dem Ägyptischen Museum in Ost-Berlin eine Pressemeldung wert: Im April 1970 hatte das Museum von einem Arzt aus Borgsdorf im Berliner Umland zwei ägyptische Altertümer erworben – ein Opferbecken für Wasserspenden und einen Eingeweidekrug. Die gut zweieinhalbtausend Jahre alten Objekte, so verkündete es das Ägyptische Museum 1972 in einem Aufsatz der Fachzeitschrift Forschungen und Berichte, „stammten aus der Sammlung von Rudolf Mosse, dem bekannten Verleger mehrerer Berliner Zeitungen und Begründer der Annoncen-Expedition“.

Die beiden unschätzbar wertvollen Exponate gehören noch heute zum Bestand des Ägyptischen Museums, das seit 2009 wieder ins Neue Museum in Berlin-Mitte eingezogen ist. Möglicherweise aber nicht mehr lange: Sowohl das Opferbecken als auch der Eingeweidekrug stehen – ohne Abbildung – seit Anfang Juli auf der Internetseite von Lost Art, der 1998 eingerichteten zentralen Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste. Die in Magdeburg ansässige Einrichtung veröffentlicht in einer Internet-Datenbank jene Kunstwerke aus meist jüdischem Besitz, die zwischen 1933 und 1945 verschwunden oder geraubt worden sind.

Objekte auf Lost Art eingestellt

Auch die beiden ägyptischen Altertümer aus Berlin sind in der Nazizeit aus jüdischem Besitz enteignet worden. Sie gehörten zur Kunstsammlung der jüdischen Unternehmerfamilie Mosse. Die Sammlung, eine der bedeutendsten Kollektionen ihrer Zeit, war vor 80 Jahren von den Nazis zerschlagen worden. Jetzt fordern die in den USA lebenden Nachkommen der Familie die seit damals in aller Welt verstreuten Kunstwerke zurück.


Der „Frühlingssturm“ von Ludwig von Hofmann – im Besitz des Museums Mathildenhöhe Darmstadt – zählt ebenfalls zu den 411 von den Nazis entwendeten Kunstwerken aus der Sammlung Mosse.

In den vergangenen zwei Wochen hat eine namhafte Anwaltskanzlei aus San Francisco eine erste, insgesamt 411 Einzelobjekte umfassende Liste von Kunstobjekten aus der Mosse-Sammlung auf Lost Art veröffentlicht. Neben dem Ägyptischen Museum in Berlin müssen noch weitere deutsche Museen und Galerien damit rechnen, wertvolle Gemälde und Ausstellungsobjekte zurückzugeben. Denn die Münchner Wirtschaftsdetektei Paladin Associates GmbH, die im Auftrag der Erben seit Jahren Exponate der Sammlung sucht, ist auch in den Städtischen Sammlungen von Karlsruhe, Sindelfingen, Köln und Darmstadt fündig geworden.

Zu den von der Kanzlei bei Lost Art jetzt angemeldeten Objekten gehören 176 Gemälde, 55 Plastiken und 32 Grafiken sowie Möbelstücke, Schmuck, wertvolle Stickereien und edle Teppiche. Ihr heutiger Wert wird von Sachverständigen auf mehrere Millionen Euro geschätzt. Unter den Gemälden befinden sich Werke Alter Meister, vornehmlich aus Holland, Italien und Belgien, sowie Werke des 19. Jahrhunderts unter anderem von Adolph Menzel, Max Liebermann, Arnold Böcklin, Lovis Corinth, Karl Blechen, Karl Spitzweg, Franz von Stuck, Ludwig von Hofmann und Wilhelm Leibl.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der das Ägyptische Museum gehört, bestätigte indirekt den Rückgabeanspruch der Mosse-Erben auf das Opferbecken und den Eingeweidekrug. Man stehe im Kontakt mit dem Anwalt der Erben, teilte die Sprecherin der Stiftung auf Anfrage mit. Und dass man um Verständnis bitte, wenn derzeit dazu keine weiteren Informationen gegeben werden können.

Opferbecken und Eingeweidekrug sind wie nahezu alle bei Lost Art registrierten Objekte aus der Mosse-Sammlung am 29. und 30. Mai 1934 vom Berliner Auktionshaus Rudolph Lepke versteigert worden. Der damalige Besitzer der Sammlung, Hans Lachmann-Mosse, war bereits Anfang 1933 vor den Nazis in die Schweiz geflohen. Sein Angebot, die Sammlung gegen eine Bezahlung von 1,5 Millionen Reichsmark in die Schweiz zu holen, schlug Berlin damals aus. Stattdessen beauftragte die Reichsregierung den Kunsthändler und Hitler-Vertrauten Karl Haberstock mit der Auktion bei Lepke.

Im Auktionskatalog der Versteigerung von 1934 wird die Mosse-Sammlung angepriesen. Die Kollektion enthalte viele Meisterwerke, heißt es dort. Für die Auktion sei eine Sichtung erfolgt, „es wurden nur die besten Stücke aufgenommen“, heißt es weiter. Dazu gehörten etwa Plastiken von August Gaul und Hugo Lederer. Auch die Gemälde seien bedeutend. „Sehr stattlich ist der Besitz der Sammlung an Werken ausländischer, vor allem holländischer, belgischer und italienischer Meister“, steht im Katalog.

Unter den Nummern 158 und 159 tauchen in dem Lepke-Katalog die jetzt von den Erben zurückgeforderten Altertümer aus dem Ägyptischen Museum auf: ein Opferbecken aus Kalkstein, Länge 31,5 Zentimeter und Breite 20,5 Zentimeter, mit der einzeiligen Inschrift „Bekannte des Königs Nebka“; und ein Eingeweidekrug aus Alabaster, Höhe 26 Zentimeter. „Gute Erhaltung“ steht ergänzend dabei. Links neben den beiden Objekten finden sich im Katalog die handschriftlich mit Bleistift eingetragene Zahlen „100“ und „90“, offenbar das Mindestgebot für die Auktion.

Eingeweidekrug und Opferschale

Dass die beiden im Lepke-Katalog ausgewiesenen Objekte identisch sind mit den Altertümern aus der Sammlung des Ägyptischen Museums, dürfte nicht zuletzt wegen des Aufsatzes von 1972 zweifelsfrei sein. Unklar ist noch, wie der Arzt aus Borgsdorf in den Besitz der beiden Stücke kam: Hat der 1971 verstorbene Mediziner sie selbst auf der Lepke-Auktion erworben oder kam er erst später in deren Besitz? Für den Anspruch der Mosse-Erben auf Rückgabe hat dies allerdings keine Auswirkung. Seit der Washingtoner Erklärung von 1998 sind öffentliche Museen und Galerien dazu verpflichtet, geraubtes jüdisches Eigentum an die Nachkommen der ursprünglichen Besitzer zurückzugeben.

Denn unzweifelhaft ist es auch, dass die in der NS-Zeit erfolgte Enteignung der wertvollen Mosse-Sammlung Unrecht war. Der 1843 in der Provinz Posen geborene Rudolf Mosse gehörte Anfang des vergangenen Jahrhunderts neben Alfred Hugenberg und Leopold Ullstein zu den bedeutendsten Verlegern Deutschlands. In seinem Zeitungskonzern erschienen mehr als 100 Blätter, darunter das von Theodor Wolff geführte legendäre „Berliner Tageblatt“. Nach Mosses Tod 1920 übernahm sein Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse den Konzern. Der wohlhabenden Familie gehörten drei Rittergüter im Berliner Umland sowie diverse Immobilien in der Hauptstadt, darunter das Berliner Verlagshaus und das Mosse-Palais am Leipziger Platz, wo auch die Kunstsammlung der Familie untergebracht war.

1929/30 geriet der Konzern nach einer Serie fehlgeschlagener Investitionen und Spekulationsgeschäfte in eine finanzielle Schieflage. Im Herbst 1932 beantragte Lachmann-Mosse daher die Eröffnung eines Konkursverfahrens. Die Entscheidung darüber verzögert sich aber bis über die Machtergreifung Hitlers hinaus. Erst im Juli 1933 wurde ein Vergleichsverfahren über den Konzern eröffnet. Lachmann-Mosse und der Tageblatt-Chefredakteur Wolff waren zu diesem Zeitpunkt bereits vor den Nazis in die Schweiz geflohen. Hitler ließ den Konzern unter staatliche Konkursverwaltung stellen und enteignete die Besitztümer der Familie.

Von der Schweiz aus versuchte Lachmann-Mosse wenigstens die Kunstsammlung der Familie zu retten. Ein Schweizer Bankenkonsortium war bereit, 1,5 Millionen Reichsmark auf die Konten des unter Zwangsverwaltung stehenden Mosse-Konzerns zu überweisen. Im Gegenzug sollte Berlin die Sammlung in die Schweiz schicken, die Lachmann-Mosse als Sicherheit für den Bankenkredit dort hinterlegen wollte. Aber Berlin lehnte ab und ließ die Sammlung versteigern, obwohl deren Erlös unter dem Millionenangebot aus der Schweiz lag.

Nach Kriegsende wurden die Enteignungen der Mosse-Familie in der NS-Zeit als Unrecht anerkannt. Schließlich erhielten die Nachkommen nach der Wiedervereinigung auch den umfangreichen Immobilienbesitz in der früheren DDR zurück. Ein Anspruch der Familie auf die jetzt in der Lost-Art-Datenbank registrierten Kunstwerke ist daher nach Überzeugung von Kunstrechtsexperten berechtigt.

Mäzen, Geschäftsmann und Verleger

Rudolf Mosse, der am 9. Mai 1843 in Posen geboren wurde, gehörte Anfang des vergangenen Jahrhunderts neben Alfred Hugenberg und Leopold Ullstein zu den bedeutendsten Verlegern Deutschlands.

Der gelernte Buchhändler kam 1861 nach Berlin, wo er zunächst im Verlag des Satireblatts Kladderadatsch mitarbeitete, bevor er sechs Jahre später die Annoncen-Expedition Rudolf Mosse gründete und damit den Grundstein zu seinem späteren Imperium legte.

Sein Geschäftskonzept war einfach. Er nahm Aufträge von Inserenten an und leitete sie an Zeitungen für eine Provision weiter. Nach einem Bankrott konnte er mit einem zweiten Unternehmen mit gleicher Geschäftsidee Standorte in Prag, Wien, Zürich, London und Paris aufbauen.

Das Berliner Tageblatt war Im Jahr 1872 die erste Zeitungsgründung von Rudolf Mosse. Das Blatt zog vor allem aus dem Anzeigenteil Gewinne.

Im Zeitungskrieg am Ende des 19. Jahrhunderts gründete Mosse mit Emil Cohn die Berliner Morgenzeitung . Darauf antworte Leopold Ullstein mit der Herausgabe der Berliner Morgenpost, 1898.

In Mosses Konzern erschienen am Ende mehr als 100 Blätter, darunter auch das von dem Publizisten Theodor Wolff geführte legendäre Berliner Tageblatt. Vor dem Ersten Weltkriegs war Mosse Berlins größter Steuerzahler, der auch eine Kunstsammlung von großem Wert schuf.

Nach dem Tod von Rudolf Mosse im Jahr 1920 übernahm sein Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse den Konzern. Der Familie gehörten inzwischen drei Rittergüter im Berliner Umland sowie diverse Immobilien in der Stadt.

Nach der Machtergreifung Hitlers wurde im Juli 1933 ein Vergleichsverfahren über den Konzern eröffnet. Lachmann-Mosse war da bereits in die Schweiz geflüchtet. Die Kunstsammlung wurde 1934 zwangsversteigert.

 

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