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So sah für ihn die Mutterliebe aus - That's how motherly love looked to him

1998
1970
1945
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25 July 2014
Von Rose-Maria Gropp

Das Glück eines gelungenen Ankaufs

Medardo Rosso ist einer der bedeutendsten Bildhauer der Moderne. Seine Werke sind rar. Das Städel Museum hat jetzt eine großartige Bronze von ihm.


Im Frankfurter Städel Museum wird die Bronze von Medardo Rosso bald zu sehen sein.

Das bisher ungenannte „bedeutende Museum“, das am 13. Mai im Wiener Auktionshaus Im Kinsky Medardo Rossos Bronze „Aetas Aurea (Das Goldene Zeitalter)“ oder auch „L’éta d’oro“ ersteigert hat, ist das Städel Museum in Frankfurt. Der Zuschlag erging, nach dem finalen Gefecht zwischen einem Saalbieter und dem Vertreter des Museums am Telefon, bei 280.000 Euro, mit Aufgeld liegt der Preis also bei 353.000 Euro. Dass die seltene bedeutende Plastik ihre Schätzung von 50.000 bis 100.000 Euro weit hinter sich lassen würde, war von vornherein zu erwarten. Sie avancierte außerdem zum Spitzenlos der gesamten Veranstaltung, und es handelt sich um den höchsten Preis, der je für eine Bronze des Bildhauers bezahlt wurde.


Im Mai in Wien vom Städel Museum ersteigert: Die 52,5 Zentimeter hohe bronzene Version der „Aetas Aurea (Das Goldene Zeitalter)“ von Medardo Rosso, um 1902/03

Einen beglückenden Umstand kann Max Hollein, der Direktor des Städels, dessen jüngster Erwerbung hinzufügen: Sie wurde ermöglicht durch die Großzügigkeit einer Mäzenin des Museums, die absolut anonym bleiben möchte. Sie übernahm den gesamten Kaufpreis, und sie tat dies, ohne irgendwelche Forderungen an das Haus damit zu verbinden, etwa was die Plazierung des Werks angeht oder weitere Ansprüche, wie sie inzwischen gern von Förderern angemeldet werden. Das Engagement dieser Unterstützerin ist, auch aus Gründen ihrer Diskretion, nicht genug zu preisen.

Die Mäzenin finanzierte das Werk ohne Gegenforderung

Neben Auguste Rodin und Aristide Maillol steht Medardo Rosso als einer der wichtigsten und einflussreichsten Bildhauer der Moderne. Sein Œuvre ist mit rund vierzig Plastiken eher klein; er variierte sie aber in verschiedenen Materialien, in Wachs, in Gips und in Bronze. Von spezieller Bedeutung für seine Arbeitsweise ist, dass er – bei den Werken, die eindeutig von seiner Hand sind – die Bronzen selbst gegossen, Überarbeitungen daran selbst vorgenommen und sie mit individueller Patina versehen hat.

Die „Aetas Aurea“ ist eine Mutter-Kind-Darstellung, die 1885 entstand und seinen im selben Jahr geborenen Sohn Francesco in inniger Einheit mit der jungen Mutter darstellt, während sich die Konturen dieser Verschmelzung nach außen hin impressionistisch in Raum und Zeit aufzulösen scheinen. Bekannt sind von der Plastik heute zwei Exemplare in Gips, sieben in Wachs und drei in Bronze; von den Bronzen befindet sich eine im Besitz des Musée d’Orsay in Paris. Der Guss, der nun dem Städel gehört, bezaubert besonders durch die zärtlichen Partien seiner goldenen Patina, die Rosso, nach glaubhafter Expertise des Archivio del Museo Rosso in Barzio, eben eigenhändig ausgeführt hat. Es ist ein Merkmal seiner revolutionären Auffassung, dass er die Rückseite der Bronze beinah ganz vernachlässigt. Er macht aus dem Werk eine frontale Impression für den Betrachter, der Vollplastik seiner ebenbürtigen Kollegen Rodin, Maillol oder auch Degas folgt er nicht.

Mutter-Kind-Darstellung aus dem Jahr 1885

Entscheidend für die Ankäufe eines führenden Museums im heutigen Markt muss unbedingt die Provenienz sein. Der Guss, um den es hier geht, entstand wohl 1902/03, als sich Rosso in Wien, Berlin, Leipzig und Dresden aufhielt, weil dort Ausstellungen von ihm stattfanden. Er kommt aus der Sammlung des Wiener Unternehmers und Kunstsammlers Hermann Eissler, der das Werk früh direkt vom Künstler erwarb, wie ein Brief Rossos aus Paris im Jahr 1905 belegt, in dem er den Verkauf von „la fille et infant“ für 7000 Franken erwähnt. Hermann Eissler war Jude. Er musste Wien kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlassen, im Krieg verkaufte seine Frau Hortense einen Teil der Sammlung. Als Eissler nach dem Krieg nach Wien zurückkehrte, war die „Aetas Aurea“ noch in der Familie. Im Jahr 1950 schenkte Eissler selbst die Plastik einem befreundeten Arzt, der seine Frau jahrelang unentgeltlich betreut hatte. Der Einlieferer war jetzt, mehr als sechs Jahrzehnte später, der Sohn dieses Arztes.

Ausgesprochen rar im Kunstmarkt, schon gar in Versteigerungen, sind Werke des 1858 in Turin geborenen Künstlers, der 1886 nach Paris übersiedelte und 1902 die französische Staatsbürgerschaft annahm. Ein Blick auf die Auktionsergebnisse zeigt, wie begehrt vor allem die Varianten der „Aetas Aurea“ sind. Eine mit 38 Zentimetern kleinere Fassung – allerdings aus dem äußerst sensiblen Material Wachs – erzielte 2005 bei Sotheby’s in London einen Hammerpreis von umgerechnet knapp 320.000 Euro und ein mit dem jetzigen Städel-Ankauf etwa gleich großer Gips bereits 1992 in New York knapp 284.000 Euro.

Marktgeschichte ist keinesfalls zu vernachlässigen, zumal in diesen Zeiten, in denen Raub, Fälschung und Betrug in der Kunst und in ihrem Handel massiv auf die Tagesordnung gekommen sind. Die kardinale Aufgabe der Museen ist es umso stärker, einen verlässlichen Vorrat anzulegen, für unser aller Gedächtnis. Im Frankfurter Städel ist von heute an Medardo Rossos „Aetas Aurea“ zu sehen, in schöner Nachbarschaft zu Künstlern seiner Zeit, zu Eugène Carrières Mutter-Kind-Gemälde „Der Schlaf“ von 1890 oder zu Edgar Degas’ „Kleiner Tänzerin“. Das Verständnis für seine Vision wird jeden Besucher erreichen – und für eine schwebende Modernität, die bis heute ihre Anziehung behält.

 

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