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Es bleiben Zweifel - Doubts remain

1998
1970
1945
Handelsblatt 28 August 2014
Von Lucas Elmenhorst

Die Beweislage im Streitfall um Lovis Corinths „Drei Grazien“ aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ist nicht restlos geklärt. Aber die Limbach-Kommission spricht sich gegen eine Rückgabe an die Erben aus.


Gegenstand des Streits: Lovis Corinths Gemälde „Drei Grazien“ von 1904.

Berlin - Mit sinnlicher Opulenz hat Lovis Corinth 1904 seine „Drei Grazien“ gemalt. Seit der großen Corinth-Ausstellung im Jahr 2008 hängt das Gemälde als eine Leihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in dem berühmten Corinth-Saal der Ostdeutschen Galerie in Regensburg. Doch schon seit 2002 fordern die Erben der Familie Levy die Restitution des bedeutenden Gemäldes. Die Limbach-Kommission hat nun entschieden, dass es sich nach ihrer Auffassung bei diesem Werk nicht um NS-Raubkunst handelt.

´Die unbeschwerte Freude, die die drei tanzenden Göttinnen verbreiten, dürfte künftig etwas getrübt sein. Die Geschichte ist verworren und allenfalls auf den ersten Blick eindeutig. Es bleiben Zweifel. Die Berliner Fabrikantin Clara Levy (1864-1940) und ihre vier Kinder gehörten zu den wenigen jüdischen Familien, denen es noch im März 1939 gelang, von Berlin nach Luxemburg zu ziehen. Sie konnten große Teile ihres Hausrats mitzunehmen, darunter fast 80 Bilder. Die Weiterreise nach New York erlebte sie nicht mehr. Nur einen Teil des leichteren Umzugsguts konnten ihre Kinder noch verschiffen, bevor 1940 die Deutschen auch Luxemburg besetzten und Teile des Levy-Besitzes beschlagnahmten. Zur Schiffsfracht gehörte laut offiziellem Frachtbrief auch „Lovis Corinth, Die drei Grazien“.

1940 oder 1941 taucht das Bild in der New Yorker „The Buchholz Gallery – Curt Valentin“ auf, eine der wichtigsten Galerien für die deutsche Moderne in den USA. Valentin gab an, es auf einer Auktion erworben zu haben. Er verkaufte das Bild erst 1949 an das Kunstmuseum Bern. Von dort erwarben es 1950 die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.

Nach langen fruchtlosen Verhandlungen haben beide Seiten beschlossen, den Fall der Limbach-Kommission vorzulegen, die sich nun gegen eine Rückgabe ausgesprochen hat. Ihrer Auffassung nach ist das Kunstwerk in den USA und damit im sicheren Ausland verkauft worden. Die Stempel auf dem Frachtbrief aus dem Besitz der Familie Levy bestätigen die Ausfuhr in die USA. Damit sei der Verkauf allem Anschein nach freiwillig erfolgt und nicht als ein verfolgungsbedingter Verlust im Sinne der Washingtoner Prinzipien

Hier beginnen die Fragen. Anders als früher hat die Limbach-Kommission erfreulicherweise nunmehr ihre Empfehlung ausführlich begründet. Imke Gielen, die Anwältin der Levy-Erben, bleibt skeptisch. „Vieles, von dem, was sie dort als unstreitig oder unzweifelhaft bezeichnet, ist es nicht“, sagte sie im Gespräch mit dem Handelsblatt. Nach Ansicht der Familie habe das Schiff mit dem Besitz der Levys nicht die USA erreicht. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Fracht noch in Europa von den Nationalsozialisten beschlagnahmt worden sei.

Der Frachtbrief belege lediglich, dass das Umzugsgut vom Transporteur übernommen worden sei, nicht aber seine Auslieferung in New York, kritisiert Gielen. „Keines der Kinder von Clara Levy konnte bestätigen, dass das Bild tatsächlich in New York angekommen ist“, so Gielen.


Das Namensschild von Cornelius Gurlitt: Der Kunstfund in Gurlitts Wohnungen erinnert an dunkle Kapitel der deutschen Kunstsammlergeschichte.

Doch die Frage, wie das Gemälde nach New York gelangt sein soll, bleibt offen. Es gäbe bislang keine Beweise dafür, dass die Angaben des jüdischen Kunsthändlers Curt Valentin, das Gemälde auf einer Auktion 1941 ersteigert zu haben, unglaubhaft seien, so Anwältin Gielen. Allein die Tatsache, dass die Buchholz Gallery beziehungsweise Curt Valentin als Mittelsmann vom Museum of Modern Art (MoMA) benutzt wurden, als es im April 1939 Kunstwerke von André Derain, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee und Henri Matisse aus einer nationalsozialistischen Kunstauktion in Luzern erwarb, reicht für eine Anzweifelung der Aussage nicht aus.

Valentins Rolle als Kunsthändler ist nicht ohne Beigeschmack. 1937 emigrierte er mit Unterstützung des Berliner Kunst- und Buchhändlers Karl Buchholz, der wie Hildebrand Gurlitt von der NS-Regierung mit der „Verwertung“ beschlagnahmter Kunst beauftragt war, nach New York. In Manhattan eröffnete er „The Buchholz Gallery – Curt Valentin“. Allein die von der Limbach-Kommission in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnte jüdische Abstammung Valentins dürfte seine Aussagen nicht bereits über jeden Zweifel erhaben machen.

Ungeklärt bleibt der Ort der Versteigerung. „Bis heute gibt es keinerlei Nachweise für diese Auktion in New York, auf der die Familie Levy 1941 Corinths „Drei Grazien“ versteigert haben soll, obwohl andere Auktionen aus dieser Zeit dokumentiert sind“, kritisiert Gielen. Mit diesem berechtigten Einwand setzt sich die Entscheidung der Limbach-Kommission leider nicht auseinander. „Die Familie bedauert die Entscheidung sehr“, bestätigt Gielen. Welche weiteren Schritte die Erben ergreifen, dazu machte sie keine Angaben. Auch Bayerns Kunstminister Ludwig Spaenle und Generaldirektor Klaus Schrenk sehen offenbar noch nicht alle Fragen geklärt.

Sie „nehmen das Votum der Limbach-Kommission zur Kenntnis und prüfen das weitere Vorgehen“, heißt es in einer Erklärung. Zu hoffen ist, dass künftig wenigstens ein Schild die Besucher auf die Familie Levy als die ehemaligen Eigentümer hinweist. Die verführerischen Grazien als Botschafterinnen, dass das Unrecht der Nationalsozialisten nicht wieder gutgemacht werden kann und dass auch ein scheinbar „gerechtes“ Urteil den gesellschaftlichen Frieden nicht wieder herstellen kann.

 

http://www.handelsblatt.com/panorama/kunstmarkt/raubkunst-es-bleiben-zweifel/10622872.html
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