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Schiele-Bild: Geschäfte mit Raubkunst, die keine ist

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1945
Der Standard 2 November 2014
By Olga Kronsteiner

Das Auktionshaus Christie's ignoriert im Falle der Sammlung Grünbaum sowohl Provenienzforschung als auch amerikanische Gerichtsurteile. Egon Schieles Aquarell "Stadt am blauen Fluss " wurde somit im Vorfeld der Versteigerung zu Raubkunst degradiert.


"Stadt am blauen Fluss", ein Aquarell aus der Sammlung Grünbaum von 1910, wird am Mittwoch bei Christie's in New York versteigert werden. Es soll bis zu 1,2 Millionen Dollar einspiele

Wien / New York - Das Auktionshaus Christie's übernimmt bewusst eine lückenhafte und falsche Provenienzkette und verweigert der Provenienzforschung die Anerkennung. So lautet der gravierende, aber nachvollziehbare Vorwurf in einer Aussendung des Leopold-Museums (LM), das damit auf eine STANDARD-Anfrage reagierte. Es geht um Kunstwerke Egon Schieles, die dem Kabarettisten Fritz Grünbaum gehörten. Dieser war 1938 nach Dachau deportiert worden, wo er 1941 starb.

Die Privatstiftung ist im Besitz mehrerer Werke, die dieser Provenienz zuordenbar sind: drei davon nachweislich (u. a. das Gemälde Tote Stadt III), fünf mutmaßlich. Dieser Bestand wurde einst im Auftrag des Kunst- und Kulturministeriums und der LM-Privatstiftung erforscht; das vom Ministerium eingesetzte Gremium traf unter dem Vorsitz Nikolaus Michaleks im Herbst 2010 den Beschluss: keine Fälle von NS-Raubkunst.

In der international durchleuchteten Causa konnte bislang kein Beleg für eine Entziehung oder Beschlagnahme gefunden werden. Auch nicht im Zuge dreier Gerichtsverfahren in New York (2005-2011), in denen ein solcher Nachweis den Erben nach Grünbaum Ansprüche an einer in Privatbesitz befindlichen Zeichnung beschert hätte. Diese, Sitzende mit angezogenem linken Bein, Torso (1917), gelangt übrigens am Dienstag (4. 11.) bei Sotheby's in New York zur Auktion.

Im Mittelpunkt der gegenwärtigen Diskussion steht jedoch das am Mittwoch (5. 11.) bei Christie's offerierte Aquarell Stadt am blauen Fluss (1910): nicht wegen der im Vorfeld zugrunde gelegten Einigung zwischen dem Verkäufer (Gerstl Estate) und den Grünbaum-Erben, die angesichts erwähnter Urteile überrascht. Sondern aufgrund der Katalogangaben, die bisherige Erkenntnisse zur Provenienz ignorieren. Konkret geht es sowohl um die unter "Provenance" genannten, aber auch um von Christie's nicht erwähnte Vorbesitzer. Was auf den ersten Blick merkwürdig klingt, erklärt sich über die von Provenienzforschern rekonstruierte Geschichte der Sammlung.

Liste des Übersiedlungsguts

Nach Fritz Grünbaum führt Christie's "Schenker & Co, Vienna (1938)" an: ein Speditionsunternehmen, das namens Grünbaums Ehefrau Elisabeth im September 1938 eine Genehmigung zur Ausfuhr für dort eingelagerte Bilder und Teppiche erwirkte. Laut jener dem Antrag beigefügten Aufstellung handelte es bei dem Übersiedlungsgut etwa um "21 Ölbilder, 15 Aquarelle" oder "278 teils farbige Zeichnungen". Solche Angaben ermöglichen freilich keine Identifikation von Kunstwerken.


faksimile: bda-archiv
Im Namen von Elisabeth Grünbaum, deren Ehemann Fritz zu diesem Zeitpunkt bereits deportiert worden war, beantragte das Speditionsunternehmen Schenker & Co. AG im September 1938 die Ausfuhr von Bildern und Teppichen

Für das Auktionshaus scheint das unerheblich; ebenso, dass das Aquarell nie im Eigentum Schenkers, sondern dort nur gelagert war, worauf Christie's entgegen sonstigen Gepflogenheiten nicht verweist. Das Ausfuhransuchen ist das einzige bekannte Dokument, in dem das bis heute international tätige Unternehmen Schenker namentlich erwähnt wird.


faksimile: bda-archiv
Die dem Ansuchen beigefügte Aufstellung listet zwar die Anzahl und die Gattung der Objekte, ermöglicht jedoch keine Identifikation der Kunstwerke

Als nächste Stationen führt Christie's Gutekunst & Klipstein (Bern) und Galerie St. Etienne (New York, "acquired from the above, 1956") an. Eine zeitliche Lücke zwischen 1938 und 1956, die bereits Gegenstand akribischer Forschung war. Das Ergebnis: Weder in Akten der Gestapo oder der Vugesta fanden sich Hinweise zu einer Beschlagnahme oder Verwertung, vielmehr dürfte die Sammlung im Verfügungsbereich der Familie geblieben sein.

Elisabeth Grünbaum war im Herbst 1942 deportiert und in Maly Trostinec ermordet worden. Ihre Schwester Mathilde, verehelichte Lukacs, die mit ihrem Ehemann 1938 nach Belgien emigrierte, reiste nach dem Krieg mehrmals nach Wien. Ob erbberechtigt oder nicht, nahm sie wesentliche Teile der Sammlung an sich. Von Mai 1952 bis Herbst 1956 verkaufte sie beispielsweise 72 Werke Egon Schieles an Kornfeld & Klipstein (bis 1951 Gutekunst & Klipstein). Darunter drei Ölgemälde (u. a. Tote Stadt III) oder auch die aktuell bei Sotheby's zur Auktion kommende Zeichnung sowie das von Christie's offerierte Aquarell. Deren Gemeinsamkeit: Beide scheinen auf einer mit 22. Mai 1956 datierten und mit "Ankauf Lukacs" bezeichneten Lagerliste auf, die sich im Kornfeld-Firmenarchiv erhalten hat; beide wurden damals von Otto Kallir-Nirenstein erworben, der sie später über seine Galerie an Sammler verkaufte.

Mut zur Lücke?

Während Sotheby's in den Provenienzangaben Mathilde Lukacs anführt, bleibt sie bei Christie's unerwähnt. Warum? Auf Anfrage verweist man auf Zweifel an der Authentizität der Kornfeld-Dokumente. Mut zur Lücke, über dessen tatsächliche Motive man nur mutmaßen kann. Fakt ist, dass Christie's damit sämtliche Werke aus der Sammlung Grünbaum zu Raubkunst degradiert. Und davon sind neben der LM-Privatstiftung noch weitere Institutionen betroffen, etwa auch die Albertina, das Art Institute in Chicago oder das Museum of Modern Art sowie die Neue Galerie in New York. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD, 3.11.2014)

http://derstandard.at/2000007607135/Schiele-VersteigerungGeschaefte-mit-Raubkunst-die-keine-ist
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