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Gurlitt, Geld und große Gesten - Gurlitt, Money and Grand Gestures

1998
1970
1945
Jüdische Allgemeine 27 November 2014

Michael Wuliger sieht in der Raubkunstdebatte nüchternes Kalkül am Werk, nicht hehre Moral


Michael Wuliger

Fragwürdige Vermögenswerte bringt man gern in der Schweiz unter. Dieser schlechte Ruf haftet der Eidgenossenschaft an. Vielleicht auch deshalb wollte das Kunstmuseum Bern (KMB) die ihm vermachte Sammlung von Cornelius Gurlitt nur im Einvernehmen mit dem Bund und Bayern annehmen. Denn an einem nicht geringen Teil der 2010 zufällig aufgefundenen rund 1500 Werke klebt Blut – sie stammen aus von den Nazis geraubtem jüdischen Besitz.

Profiteur des Holocaust zu sein, will sich heutzutage niemand mehr nachsagen lassen. Spätestens seit der Affäre um die »nachrichtenlosen Konten« von Schoa-Opfern bei helvetischen Banken in den 90er-Jahren ist man in der Eidgenossenschaft sensibilisiert. Für Deutschland gilt die Pflicht zu historischem Fingerspitzengefühl erst recht. So geriet denn die Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen dem Bund, Bayern und dem Berner Museum am Montag in Berlin fast zur Mahn- und Gedenkstunde. Von Verantwortung war immer wieder die Rede, von Ethik und Moral.

anwälte Um die geht es im Fall Gurlitt sicherlich. Man tut den deutschen und Schweizer Beteiligten dennoch nicht unrecht, wenn man ihnen dazu auch nüchterne Kalkulation unterstellt. Der moralische wie materielle Preis für den Besitz von Raubkunst ist in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen. Das verdankt sich einer Gruppe, die hierzulande einen denkbar schlechten Ruf hat: Anwälte, vor allem jüdische und aus den USA, die mit allen Finessen Rückgabeverfahren betreiben. Es ist die Sorge, um nicht zu sagen, Angst davor, sich mit ihnen Ärger einzuhandeln, die viele Gewissen schlagen lässt.

Diese Anwälte sind gewiss keine Zaddikim. Sie handeln nicht unbedingt aus edlen Motiven, sie wollen hohe Honorare verdienen. In der deutschen Kulturszene tituliert man sie deshalb gelegentlich als »Haifische«. Kein schlechter Vergleich, auch wenn die Urheber es nicht so meinen. Haie sorgen als ökologische »Meerespolizei« dafür, dass die Ozeane nicht umkippen – und die verschrienen Anwälte für Sauberkeit im Biotop der Kunst. Die Ethik und Moral gibt’s kostenfrei dazu.

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/20852
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