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Es ist keine Zeit zu verlieren - There is no time to lose

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1945
Frankfurter Allgemeine 12 December 2014
von Julia Voss

Für alle Beteiligten steht außer Frage, dass die Raubkunst aus Gurlitts Sammlung an die rechtmäßigen Erben zurückgegeben werden muss. Aber wann ist es so weit?

© dpa Alle Beteiligten arbeiten mit Hochdruck am Fall Gurlitt.

In dem großen verwirrenden Labyrinth, zu dem der Schwabinger Kunstfund geworden ist, gab es bisher eine Orientierungshilfe, eine Sichtmarke, die unverrückbar schien: die Feststellung nämlich, dass sich in Gurlitts Sammlung Gemälde befinden, die NS-Raubkunst sind, die also ihren Besitzern im Nationalsozialismus geraubt oder abgepresst wurden. Außer Frage steht auch, dass diese Werke an die rechtmäßigen Erben zurückgegeben werden müssen. In diesem Punkt sind sich ausnahmsweise alle einig: Nichts ist so häufig von sämtlichen beteiligten Parteien beteuert worden.

Bereits am 7. April, also schon vor acht Monaten, hat der einundachtzigjährige Cornelius Gurlitt eine Vereinbarung mit dem Freistaat Bayern und der Bundesrepublik Deutschland unterschrieben, der zufolge geraubte Werke an die rechtmäßigen Erben zurückgegeben werden müssen. Mehr noch: Schon zu Lebzeiten Gurlitts wurde ein Restitutionsvertrag für das Bild „Sitzende Frau“ von Henri Matisse aufgesetzt, um es den Erben übergeben zu können. Nach Angaben von Christoph Edel, Gurlitts damaligem Betreuer, stand man mit weiteren Erben in engem Kontakt - etwa mit denen des Liebermann-Gemäldes oder der Spitzweg-Zeichnung.

Das Erbe der NS-Raubkunst steht im Zentrum

Die Geschichte von allen drei Bildern ist bekannt: Matisses „Sitzende Frau“ gehörte dem französischen Kunsthändler Paul Rosenberg, der 1940 über Spanien in die Vereinigten Staaten floh, nachdem die Nationalsozialisten Frankreich besetzt hatten. Liebermanns „Zwei Reiter am Strand“ hingen in der Villa des Sammlers David Friedmann in Breslau, bis die Kunstsammlung der Familie von den Nationalsozialisten im Jahr 1939 beschlagnahmt wurde. Friedmann starb drei Jahre später, seine Frau und die Tochter wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Spitzwegs „Das Klavierspiel“ schließlich war im Besitz des Sammlers Henri Hinrichsen, der 1942 in Auschwitz starb.

Noch am 5. Mai dieses Jahres, einen Tag vor Cornelius Gurlitts Tod, schrieben seine Anwälte weitere Erben wegen eines Gemäldes von Camille Pissarro an. Es handelt sich um das Bild „Paris Kathedrale“ aus dem Jahr 1902. Das ist insofern erstaunlich, als ebendieses Bild vom Kunstmuseum Bern kürzlich kommentarlos online gestellt wurde. Dies, obwohl längst bekannt war, dass es sich um einen weiteren NS-Raubkunst-Fall handelt. Die entsprechenden Schritte waren von Gurlitts Anwälten schon zu dessen Lebzeiten unternommen worden. Als das Kunstmuseum Bern jetzt am 24. November in Berlin öffentlich bekanntgab, das Erbe antreten zu wollen, stand die NS-Raubkunst im Zentrum: Sie werde, so der Stiftungsratsvorsitzende des Museums, Christoph Schäublin, an die Erben zurückgegeben.

„Lieber heute als morgen“

Und nun? Wie lange dauert es, bis auf Worte Taten folgen? An der Auseinandersetzung um Gurlitts Testament kann die Verzögerung nicht liegen. Gurlitts Verwandte, seine Cousine Uta Werner und sein Cousin, lassen über ihren Sprecher mitteilen, dass sich die Familie nicht erklären könne, „warum die entsprechenden Gemälde noch nicht restituiert sind“. Das Wort der Verwandten um Uta Werner hat deswegen Gewicht, weil sie das Testament von Gurlitt anzweifeln und dem Amtsgericht München ein Gutachten vorgelegt haben: Ihm zufolge sei Cornelius Gurlitt nicht in der gesundheitlichen Verfassung gewesen, ein rechtskräftiges Testament zu verfassen. Ob Gurlitts Erbe an das Kunstmuseum Bern geht oder doch an die Verwandten, muss nun also geprüft werden.

Unabhängig aber von der juristischen Auseinandersetzung mit dem Schweizer Museum bekräftigen die Gurlitt-Verwandten gegenüber dieser Zeitung, dass die NS-Raubkunst von allen Erbstreitigkeiten ausgenommen ist. Dazu existiere eine Einverständniserklärung von Anfang Dezember; die Rückgabe an die Erben solle „lieber heute als morgen“ erfolgen. Auf Anfrage gab das Kunstmuseum Bern an, dass „alle Beteiligten mit Hochdruck“ daran arbeiteten. Aus Sicht von Christopher Marinello, dem Anwalt der Matisse-Erben in London, stellt sich die Sachlage dennoch anders dar: „Das Kulturstaatsministerium hat kürzlich weitere Dokumente von uns erbeten.“

Damit zieht sich ein Prozess in die Länge, bei dem es keine Zeit zu verlieren gibt. Eine der Erben des Bildes von Matisse ist Elaine Rosenberg, sie ist dreiundneunzig Jahre alt. „Deutschland muss die Bürokratie erfunden haben“, sagt Marinello. Das Verhalten von Gurlitts Verwandten bezeichnete Marinello als „äußerst kooperativ“. Ein mögliches Datum für die Rückgaben steht weiterhin nicht fest.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/der-fall-gurlitt/uebergabe-gurlitt-sammlung-keine-zeit-zu-verlieren-13316231.html
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