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Deutsches Zentrum Kulturgutverluste nimmt Arbeit auf - German Cultural Property Centre starts work

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1970
1945
MDR 28 April 2015

70 Jahre nach Kriegsende sind Herkunft und Verbleib zahlreicher Kulturgüter noch immer ungeklärt. In Magdeburg hat nun das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste die Arbeit aufgenommen. Es soll die Suche nach geraubten Kunstschätzen, Ausstellungsstücken, Büchern und Dokumenten, aber auch die Fahndung nach deren Besitzern koordinieren. Allein in Sachsen-Anhalt ist der Verbleib oder die Herkunft tausender Kulturgüter nach wie vor ungeklärt.

In Magdeburg hat am Dienstag das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste seine Arbeit aufgenommen. Wie Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters im Anschluss an die erste Sitzung des Stiftungsrates mitteilte, wurde der Jurist Rüdiger Hütte zum hauptamtlichen Vorstand berufen. Zudem sei über die Besetzung des wissenschaftlichen Kuratoriums beraten worden. Die Arbeitsfähigkeit der Stiftung werde "mit großen Schritten" hergestellt, erklärte die CDU-Politikerin.

Über sechs Millionen Euro für Provenienzforschung

Die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste war zum 1. Januar dieses Jahres gegründet worden. Die mit 20 Mitarbeitern besetzte Einrichtung beschäftigt sich sowohl mit der NS-Raubkunst als auch mit den durch die Siegermächte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwendeten deutschen Kulturgütern.

Laut Grütters zeigt die Tatsache, dass sich innerhalb von nur einem Jahr Bund und Länder über die Gründung der Stiftung verständigen konnten, wie wichtig die sogenannte Provenienzforschung ist. Für diese stehen ab sofort jährlich sechs Millionen Euro an Bundesmitteln zur Verfügung. Das ist dreimal so viel wie bisher. Zudem kommen 600.000 Euro von den Ländern hinzu.

Als Sitz des Zentrums wurde Anfang April eine Villa in Magdeburg bezogen. Grütters hob in diesem Zusammenhang die Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt hervor, das die Sanierung des rund 115 Jahre alten Gebäudes übernommen hatte und auch die Betriebskosten trägt.

NS-Raubkunst behält Priorität

Der ehrenamtliche Vorstand der Stiftung und frühere Direktor der Hamburger Kunsthalle, Uwe Schneede, betonte zu den Schwerpunkten des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste: "Priorität des Zentrums bleibt die Provenienzforschung was NS-Raubkunst angeht." Andere Felder aus der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR hätten zudem große Wichtigkeit. "Dort ist unsere geschichtliche und moralische Verantwortung aber etwas völlig anderes, weil die verwaltungstechnischen und politischen Vorgänge ganz andere waren als im Dritten Reich."

Mehrere Stellen unter einem Dach

Die wissenschaftliche Koordinatorin Andrea Baresel-Brand sieht sich  in Berlin in den Räumen des Taskforce-Büros Kopien einer Renaissance-Tafel, die von dem Künstler Bartholomäus Spranger stammt oder nach ihm gemalt wurde, an.
Auch die Taskforce "Schwabinger Kunstfund" arbeitet unter dem Dach des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste.

Das durch Bund, Länder und Kommunen getragene Zentrum vereint unter seinem Dach mehrere Stellen, die sich in Deutschland mit verlorenen Kulturgütern befassen. Unter anderem führt die Einrichtung die Arbeit der Arbeitsstelle für Provenienzforschung sowie die der seit 1998 in Magdeburg ansässigen Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste fort, die in der Stiftung aufgegangen sind.

Die beim Kultusministerium Sachsen-Anhalt angesiedelte Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste dokumentierte bisher gesuchte und gefundene Kulturgüter, die in der Zeit des Dritten Reiches ihren Eigentümern entzogen (NS-Raubkunst) oder ab 1945 als sogenannte Beutekunst außer Landes geschafft wurden. Such- und Fundmeldungen zu allen Kulturgutverlusten wurden seit 2001 in der sogenannten Lost Art-Datenbank erfasst.

Die Magdeburger Koordinierungsstelle war der Hauptgrund dafür, dass auch das neue Deutsche Zentrum Kulturgutverluste seinen Sitz in Magdeburg genommen hat. Unter dem Dach der neuen Stiftung sind auch die Forschungsstelle Entartete Kunst der Freien Universität Berlin sowie die Taskforce "Schwabinger Kunstfund" vereinigt, die sich mit den 2012 beim Münchner Kunsthändler-Erben Cornelius Gurlitt beschlagnahmten 1.500 Werken befasst.

Erfahrungen mit Raub- und Beutekunst

Die mittelalterliche Handschrift
Das Quedlinburger Samuhel-Evangeliar war 1945 in ein texanisches Provinznest verschleppt worden.

Sachsen-Anhalt hat sich bereits sehr früh mit dem Thema Raubkunst beschäftigt. Ein Grund hierfür war unter anderem die Rückkehr des Quedlinburger Domschatzes 1992/93. Die ursprünglich zwölf kostbaren Stücke, unter ihnen das weltberühmte Samuhel-Evangeliar, waren 1945 durch einen Leutnant der US-Armee gestohlen und nach Texas verschleppt worden. Nach einem Vergleich mit den Erben, die das Diebesgut auf dem internationalen Kunstmarkt angeboten hatten, kehrten zehn der geraubten Stücke 1993 in die romanische Stiftskirche St. Servatius nach Quedlinburg zurück. Zwei Beutestücke - ein Bergkristallflakon und ein Reliquienkreuz - sind weiterhin verschollen.

Zahlreiche Beispiele in Sachsen-Anhalt

Auch sonst gelten zahlreiche Kulturgüter aus Sachsen-Anhalt bis heute als vermisst. Zugleich finden sich in den Lagern, Archiven und Bibliotheken des Landes Stücke, deren Herkunft bis heute unbekannt ist. So vermisst allein das Kulturhistorische Museum Magdeburg über 300 Gemälde, darunter eines von Vincent van Gogh. Der Gesamtwert des Verlustes liegt bei rund 300 Millionen Euro. Zugleich besitzt das Magdeburger Museum 71 Gemälde, deren Herkunft unklar ist.

Ein anderes Beispiel liefert das Historische Museum in Köthen. Dort werden 20.000 Bücher vermisst, außerdem Münzen und historische Waffen. Auch im Gleimhaus in Halberstadt fehlen 20 Gemälde. Dafür hat das Gleimhaus elf Bilder, deren Herkunft völlig unbekannt ist.

Der Stiftungsrat des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste (DZK) kam heute zum ersten Mal in seinem neu bezogenen Stiftungsgebäude in Magdeburg zusammen.

Auf der Tagesordnung standen u.a. die Berufung des hauptamtlichen Vorstands der Stiftung sowie die Besetzung des wissenschaftlichen Kuratoriums.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Vorsitzende des Stiftungsrats, erklärte: „In Rekordzeit von weniger als einem Jahr haben wir die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste aufgebaut. Jetzt konnten wir das Gebäude in Magdeburg beziehen. Mit der heutigen Berufung des hauptamtlichen Vorstands ist nun auch das Leitungsteam komplett. Mit Rüdiger Hütte als dem ehemaligen stellvertretenden Chef des Bundespräsidialamtes und früheren Staatssekretär im Thüringer Innen- bzw. Justizministerium haben wir einen ausgewiesenen Experten für diese anspruchsvolle Aufgabe gewinnen können. Ich bin zuversichtlich, dass Rüdiger Hütte gemeinsam mit Prof. Uwe Schneede den Herausforderungen gerade während der andauernden Aufbauphase der Stiftung DZK effizient begegnen werden.“

Grütters weiter: „Auch die Weichen für die Besetzung des wissenschaftlichen Kuratoriums als Beratungsgremium wurden gestellt. Es war mir wichtig, Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland einzubeziehen.“

Berufen wurden Evelien Campfens, Geschäftsführerin des Niederländischen Restitutionskommittees; Prof. Dr. Uwe Fleckner, Universität Hamburg; Dr. Annette Gerlach, Leiterin des Landesbibliothekszentrums Rheinland-Pfalz; Prof. Dr. Anne Grynberg, Leiterin des Comité d´histoire auprès de la CIVS (Französische Kommission für die Entschädigung der Opfer von Enteignungen); Dr. Ute Haug, Vorsitzende des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V.; Prof. Dr. Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbundes e.V.; Ruediger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland; Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder und Frau Malgorzata Quinkenstein vom Zentrum für historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Zwei weitere Berufungen, insbesondere eines israelischen Mitglieds, werden derzeit noch abgeklärt.

Die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste bündelt seit Anfang des Jahres die Provenienzforschung in Deutschland insbesondere zur NS-Raubkunst. Das Zentrum führt unter anderem die Aufgaben der ehemaligen Koordinierungsstelle Magdeburg und der ehemaligen Arbeitsstelle für Provenienzforschung fort.

Der Stiftungsrat ist das Aufsichtsgremium des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Er setzt sich aus 15 Mitgliedern aus dem Kreis der Stifter – Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände – zusammen.

English summary:

The first meeting of the board of the new German Cultural Property Centre took place on Tuesday. The lawyer Rüdiger Hütte was appointed to a full-time post. Board member Uwe Schneede emphasised that the Centre's priority remains provenance research into Nazi-looted art. An expert advisory committee was formed whose membership includes, from outside Germany, Evelien Campfens, director of the Dutch Restitutions Committee and Anne Grynberg, head of the historical section of the French CIVS. It is intended that an Israeli member be appointed. German members are Prof. Dr. Uwe Fleckner of Hamburg University, Dr. Annette Gerlach, head of the Landesbibliothekszentrum of Rheinland-Pfalz, Dr. Ute Haug, chair of the Arbeitskreis on provenance research, Prof. Dr. Eckart Köhne, President of the German Museums Association, Ruediger Mahlo, representative of the Claims Conference in Germany, Isabel Pfeiffer-Poensgen, General Secretary of the Kulturstiftung der Länder and Malgorzata Quinkenstein of the Polish Academy of Science's Centre for Historical Research in Berlin.

http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/magdeburg/deutsches-zentrum-kulturgutverluste-magdeburg100.html
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