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Schirach kündigt Aufarbeitung an - Schirach announces investigation

1998
1970
1945
Der Spiegel 8 July 2016
 


Ba­rock­werk „Hol­län­di­sches Platz­bild“

Der Schrift­stel­ler und Straf­ver­tei­di­ger Fer­di­nand von Schi­rach will die Raub­kunst­ge­schäf­te sei­ner Vor­fah­ren auf­ar­bei­ten las­sen. Das kün­dig­te er ge­gen­über dem SPIEGEL an: „Aus den vie­len Straf­ver­fah­ren, in de­nen ich ver­tei­digt habe, weiß ich, dass Auf­klä­rung den Op­fern hel­fen kann.“ An­lass sind Be­rich­te der Lon­do­ner Or­ga­ni­sa­ti­on Com­mis­si­on for Loo­ted Art in Eu­ro­pe (CLAE), die nach dem Ver­bleib sol­cher Kunst­wer­ke forscht, die einst jü­di­schen Ver­folg­ten von den Na­zis ge­raubt wor­den wa­ren und nie an ihre Ei­gen­tü­mer oder de­ren Er­ben zu­rück­gin­gen. Die­sen Nach­for­schun­gen zu­fol­ge hat­te der Frei­staat Bay­ern so­gar Han­del mit ehe­ma­li­ger Raub­kunst ge­trie­ben, ob­wohl er die­se ei­gent­lich hät­te re­sti­tu­ie­ren sol­len. Pro­fi­tiert hat auch Fer­di­nand von Schi­rachs Groß­mut­ter Hen­ri­et­te. Sie war die Toch­ter des Fo­to­gra­fen und Hit­ler-Freun­des Hein­rich Hoff­mann und Ehe­frau des NS-Funk­tio­närs Bal­dur von Schi­rach, der in den Nürn­ber­ger Pro­zes­sen zu 20 Jah­ren Haft ver­ur­teilt wur­de. Ver­mö­gen und Be­sitz­tü­mer der Fa­mi­li­en Hoff­mann und Schi­rach wur­den ein­ge­zo­gen. In der Nach­kriegs­zeit be­kam Hoff­mann den­noch Kunst­wer­ke zu­rück. 1962 er­warb sei­ne Toch­ter Hen­ri­et­te, seit 1950 von Bal­dur von Schi­rach ge­schie­den, sie­ben wei­te­re Bil­der vom Frei­staat, die ihre Fa­mi­lie schon frü­her zu Un­recht be­ses­sen hat­te. Dar­un­ter ist auch ein hol­län­di­sches Ba­rock­bild mit der An­sicht ei­nes idyl­li­schen Markt­plat­zes; es hat­te dem jü­di­schen Ge­schäfts­mann Gott­lieb Kraus ge­hört, wur­de 1941 von der Ge­sta­po kon­fis­ziert und an Hein­rich Hoff­mann ver­äu­ßert. In den frü­hen Sech­zi­ger­jah­ren zahl­te Hen­ri­et­te von Schi­rach an die Re­gie­rung des Frei­staa­tes nur 300 Mark für die­ses Ge­mäl­de und ließ es kurz dar­auf von ei­nem Auk­ti­ons­haus für 16 100 Mark ver­stei­gern. Käu­fer war der Xan­te­ner Dom­bau­ver­ein. Dort be­fin­det es sich noch heu­te, ob­wohl man schon vor Jah­ren über die Ge­schich­te des Bil­des in­for­miert wur­de. Fer­di­nand von Schi­rach er­fuhr erst jetzt da­von, er habe, sagt er, kei­nen An­lass, an der Dar­stel­lung der CLAE zu zwei­feln. „Die­se Er­eig­nis­se fan­den vor mei­ner Ge­burt statt, sie er­schre­cken und be­stür­zen mich. Hein­rich Hoff­mann, Hen­ri­et­te und Bal­dur von Schi­rach und mein Va­ter le­ben nicht mehr. Ei­ge­ne oder ver­mit­tel­te Kennt­nis­se über die­se Vor­gän­ge be­sit­ze ich nicht. Mei­ne Fa­mi­lie vä­ter­li­cher­seits hin­ter­ließ mir nichts.“ Die un­ge­heu­re Schuld, die sein Groß­va­ter auf sich ge­la­den habe, kön­ne nicht ge­tilgt wer­den. „Dass Mit­glie­der mei­ner Fa­mi­lie auch in der Nach­kriegs­zeit un­ver­ant­wort­lich han­del­ten, er­füllt mich mit Scham.“ Des­halb, so Schi­rach, wer­de er die­se Vor­gän­ge wis­sen­schaft­lich un­ab­hän­gig auf­ar­bei­ten las­sen, denn man müs­se um das Böse wis­sen, „nur so kön­nen wir da­mit le­ben“. So­bald das Gut­ach­ten vor­lie­ge, wer­de er es der Öffent­lich­keit zur Ver­fü­gung stel­len. Er den­ke, sagt Schi­rach, in die­sen Ta­gen oft an ei­nen Satz des Schrift­stel­lers Wil­li­am Faulk­ner: „Das Ver­gan­ge­ne ist nicht tot, es ist nicht ein­mal ver­gan­gen.“


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