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«Sammlung Bührle muss Archive öffnen» - "The Buehrle Collection must open its archives"

1998
1970
1945
Neue Zuercher Zeitung 10 July 2016
von Guido Magnaguagno und Thomas Buomberger

Die Stiftung Bührle hat Vorwürfe dementiert, die Herkunft einzelner Werke aus Emil Bührles Kunstsammlung sei lückenhaft dokumentiert. Die Verfasser des «Schwarzbuchs Bührle» halten dagegen: Die Beweise der Stiftung seien ungenügend.


Die Sammlung Bührle kommt nicht aus der Kritik: Auch Monets «Mohnfeld bei Vétheuil» wurde als Fluchtgut eingeklagt.

Auf der Traktandenliste des Zürcher Gemeinderats stand die Interpellation von SP-Gemeinderätin Christine Seidler zum Thema «Aufnahme der Sammlung Bührle in den Erweiterungsbau des Kunsthauses» – und punktgenau erschien in der NZZ vom 7. Juli ein Artikel über die «Richtigstellung» der Stiftung Sammlung Bührle zu den im «Schwarzbuch Bührle» beispielhaft dargelegten Lücken in der Provenienz von 20 Kunstwerken der Sammlung. Ein Bericht des Kurators der Sammlung Bührle, Lukas Gloor, welcher der Sonderkommission des Gemeinderats zugestellt wurde, befand als «Fazit» bei 16 von 19 Bildern: «keine Lücken in der Provenienz, sondern lückenlos belegte Provenienz», bei den restlichen drei sei ein Verdacht auf «obskuren Handwechsel» auszuschließen. Die Ratsdebatte wurde mit gutem Grund auf den Herbst verschoben.

Erstaunlich ist, dass die Stiftung Sammlung Bührle fast ein Jahr nach Erscheinen des «Schwarzbuchs» mit neuen Fakten aufwartet, obwohl bisher behauptet wurde, man habe die Provenienzen nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert. Was Gloor vorlegt, sind allerdings unüberprüfte Behauptungen. In fast allen Fällen kann und muss die Provenienz nun endlich – mit einer Verspätung von über fünfzig Jahren – von unabhängiger Seite analysiert werden. Allein, bis jetzt hat noch niemand uneingeschränkt Zugang zum Bührle-Archiv erhalten. Gloor und seine Expertin Laurie Stein liefern vor allem neue Daten, was erfreulich und hilfreich ist.

Nicht verharmlosen

Hätten sie das auch ohne «Schwarzbuch» getan? Jedenfalls zeigen sie ein rudimentäres Verständnis von Provenienzforschung. Denn sie erschöpft sich nicht darin, Daten von Handwechseln aneinanderzureihen. Die politische und soziale Lage und die Familiengeschichte der meistens jüdischen Vorbesitzer müssen berücksichtigt werden. Durch die Arisierungen in Nazi-Deutschland und die Besetzung von Paris befanden sich jüdische Kunstsammler in sehr schwieriger Situation, bedingt durch die horrend hohe «Reichsfluchtsteuer» oder die drohende Konfiskation. So ist es verharmlosend, im Zusammenhang mit dem Courbet-Bilds der Familie Ullstein zu sagen, die letzte Besitzerin habe beim Verkauf «im Ausland» gelebt: Lisbeth Malek-Ullstein wartete in Estoril auf den letzten Dampfer ins amerikanische Exil. Nur bei solcher Betrachtung kann abgewogen werden, ob es sich um «NS-bedingten Verlust» handelt.

Über die Provenienz-Diskussion hinaus beleuchtet das «Schwarzbuch» die Rolle E. G. Bührles als Waffenfabrikant, Kunstsammler und steueroptimierender «Mäzen». Es weist darauf hin, dass die dank immensen Kriegsgewinnen gekaufte und 1948 restituierte «Raubkunst» immer Schatten auf die Kollektion werfen wird. Und es schlägt vor, diesem Umstand durch ein öffentliches Dokumentationszentrum im Kunsthaus zu begegnen. Zudem sollte eine unabhängige Expertenkommission den «Komplex Bührle» aufarbeiten.

Christoph Blocher ist vorausgegangen

Der ungehinderte Zugang zum Bührle-Archiv muss jetzt gewährleistet werden, nicht erst 2020 bei der Eröffnung des Kunsthaus-Neubaus. Zeitgemässes Geschichts- und Unrechtsbewusstsein sollte auch bei Bührles Apologeten Eingang finden. Der Verweis beim Weiterverkauf eines 1937 als «entartet» beschlagnahmten Bildes von Braque auf die «1933 demokratisch gewählte Regierung» ist unhaltbar. Die «entartete» Museumskunst ist wie die fast völlig intransparenten Privatsammlungen in den Fokus gerückt. Es gibt beispielhafte Aufarbeitungen: das Kunstmuseum Bern, Christoph Blocher und die Hamburger Kunsthalle sind vorausgegangen.

Guido Magnaguagno und Thomas Buomberger sind Herausgeber des «Schwarzbuchs Bührle», das im Herbst 2016 erschienen ist.

http://www.nzz.ch/feuilleton/schwarzbuch-verfasser-fordern-unabhaengige-experten-die-sammlung-buehrle-muss-die-archive-oeffnen-ld.104924
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