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Hitlers Lieblingsmaler - Hitler's favourite artist

1998
1970
1945
Sueddeutsche Zeitung 29 November 2016
Von Kia Vahland

In der Graphischen Sammlung München lagern Werke von Rudolf von Alt aus Nazibesitz. Jetzt gibt das Museum ein großes Aquarell an die Erben eines in Auschwitz ermordeten jüdischen Sammlers zurück.

An diesem Mittwoch wird die Graphische Sammlung in München ein großformatiges Aquarell des Wiener Künstlers Rudolf von Alt an die Enkel des jüdischen Eigentümers zurückgeben. Es stammt aus dem Besitz von Martin Bormann, dem Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP und einem engen Vertrauten Hitlers. Die Geschichte dieses Aquarells erzählt einiges über das Unrecht, das jüdischen Sammlern und ihren Erben noch Jahrzehnte nach ihrer Enteignung angetan wurde - und sie führt zugleich vor, wie sich heute im besten Fall damit umgehen lässt.

Das in feinen Schattierungen getupfte Blatt zeigt das Arbeitszimmer des Künstlers als schützenden, behaglichen Raum. Sein Platz am Schreibtisch rechts bleibt leer, ein weißer, nicht ausgemalter Fleck. Von Alt schuf das Bild kurz vor seinem Tod im Jahr 1905. Danach gaben es seine Erben an einen Freund, den Industriellensohn Stephan Mautner, der bei von Alt zeichnen gelernt hatte. Nach dem sogenannten "Anschluss" Österreichs verlor die Familie Mautner ihr Vermögen und musste Kunst verkaufen, um die Flucht zu finanzieren. Doch diese glückte den Eltern nicht. In Ungarn wurden Stephan Mautner und seine Frau Elsa verhaftet und nach Auschwitz verschleppt, wo sie ermordet wurden.

Bis zu diesem Fall verlangte der Freistaat, dass Museen für Rückerstattungen selbst zahlen

Rudolf von Alt gehörte zu den Lieblingsmalern Hitlers, der in Wien vergeblich versucht hatte, Künstler zu werden. Das kurbelte den Markt von Alts im Nationalsozialismus an; auch Münchner Kunsthändler kauften in Wien massenweise ein. Etliche Werke waren jüdischen Sammlern abgepresst worden. Besonders interessiert an von Alt war Bormann, der für die Ausstattung der Hitlerkolonie am Obersalzberg ein großes Konvolut erstand. Im Herbst 1938 ließ er das "Arbeitszimmer" neu rahmen. Bei Kriegsende konnten die amerikanischen Kunstschutzoffiziere das Werk mit vielen anderen aus dem Kunstdepot in der Salzmine von Altaussee bergen. Es kam in den Central Collecting Point, die Kunstsammelstelle in München. Dort fragte der Sohn Mautners bereits 1947 nach dem Aquarell. Doch wegen seiner ungewöhnlichen Größe war es wohl separat abgelegt. Die Amerikaner fanden das Werk in ihrem Bestand nicht wieder.

Seither konnte man wissen: Dies ist NS-Raubkunst. 1956 gehörten die Stücke von Alts zu den vielen Werken aus ehemaligem NS-Besitz, die den bayrischen Museen zur Aufbewahrung und Erforschung übergeben wurden. Mautners Sohn suchte derweil weiter nach der Sammlung seines Vaters. Erst Mitte der Siebzigerjahre konnte er in einem neu erschienen Werkverzeichnis den Hinweis entdecken, wo sich das "Arbeitszimmer" befindet: in der Graphischen Sammlung München. Er informierte die zuständige Kustodin über die Herkunft. Das sei ja interessant zu wissen, antwortete diese. Und tat nichts, außer einen Aktenvermerk anzufertigen. So war das in den Siebzigerjahren nicht nur in München Usus, und diese bundesrepublikanische Ignoranz gegenüber den Opfern erklärt einige der Probleme, die heutige Museumsleute mit Raubkunst haben. Denn es wird im Laufe der Jahrzehnte nicht leichter, Dokumente aus der NS-Zeit zu finden, Provenienzen zu klären, Erben aufzuspüren. Hinzu kommen die unzähligen von den Nazis geraubten Werke, die von den Museen erst in den Nachkriegsjahrzehnten angekauft wurden, als niemand es so genau wissen wollte. Auch sie harren dringend der Aufklärung.

Als der Kunsthistoriker Andreas Strobl im Jahr 2002 die Abteilung 19. Jahrhundert in der Graphischen Sammlung übernahm, fand er 604 Blätter Rudolf von Alts vor, alle aus der Sammlung Bormann und damit verdächtig. Hinzu kamen rund 8000 Werke anderer Künstler, welche seine Vorgänger in der Nachkriegszeit mehr oder weniger sorglos gekauft oder angenommen hatten. Ein "Gefühl der Hilflosigkeit" habe ihn beschlichen, sagt Strobl, denn dies war mehr, als er in seiner Lebensarbeitszeit aufarbeiten konnte. Dann stellte die Commission for Looted Art in Europe ein Restitutionsgesuch für ein anderes Blatt von Alts, und es erwies sich als berechtigt. Strobl aber hätte es trotzdem kaum hergeben können, denn der Freistaat Bayern verlangte damals von seinen unterfinanzierten Museen, die Kunstmarktpreise für zu restituierende Bilder selbst zu bezahlen. Der Kurator machte das bekannt, die Süddeutsche Zeitung berichtete. Erst danach änderte der Freistaat diese paradoxe Praxis.

Seit 2011 hat die Kunsthistorikerin und erfahrene Provenienzforscherin Meike Hopp die Münchner Bestände von Alts erkundet, in einer Kooperation der Graphischen Sammlung mit dem Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Sie entdeckte unter anderem die Herkunft des "Arbeitszimmers" und fand die Erben. Inzwischen leben nur noch die Enkel Mautners. Sie könnten das Stück nun auf dem Markt anbieten. Aufgrund seiner Größe und Besonderheit als bekanntes Alterswerk würde es leicht einen sechsstelligen Betrag erzielen. Doch sie entschieden sich, es der Graphischen Sammlung zu verkaufen. Die fünfstellige Summe bringt die Ernst von Siemens-Kunststiftung auf; sie anerkennt damit die Forscherleistung Hopps. Zwei weitere Fälle stehen kurz vor dem Abschluss. Die Arbeit Strobls aber hat erst begonnen. Bei fast 200 von Alt-Blättern ist noch nicht geklärt, ob sie rechtmäßig in seinem Museum lagern.

http://www.sueddeutsche.de/kultur/ns-raubkunst-hitlers-lieblingsmaler-1.3271726
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