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Kontaminierte Bilder - Contaminated pictures

1998
1970
1945
Neue Zuercher Zeitung 16 February 2017
von Jörg Krummenacher

Das Kunstmuseum St. Gallen präsentiert erstmals seine eigene Sammlung. Viele der gezeigten Bilder sind von zweifelhafter Provenienz. Sie wurden in Nazi-Deutschland gehandelt oder enteignet.


Ferdinand Hodlers «Thunersee mit Stockhornkette» – seit 15 Jahren ein ungeklärter Restitutionsfall.

Endlich! Jahrzehntelang musste das Kunstmuseum St. Gallen seine Räume mit dem Naturmuseum teilen, nun ist dieses in ein neues Haus gezogen und hat der Kunst mehr Ausstellungsfläche verschafft. Stolz zeigt das Kunstmuseum nun seine «Glanzlichter», Meisterwerke vom Mittelalter bis zur Gegenwart, in deren Besitz es vor allem dank Schenkungen und Stiftungen gekommen ist. Die Werke lagerten bisher im Dunkel unterirdischer Katakomben.

Heikle und weniger heikle Bilder

Eines der ausgestellten Bilder mit unbedenklicher Herkunft: Claude Monet: «Palazzo Contarini Venedig».

Die Bilder sind zwar ins Licht gestellt, ihre Herkunft aber bleibt in vielen Fällen verschleiert. Wie in keinem anderen Kunstmuseum des Landes böte sich in St. Gallen die Gelegenheit, die Wege der Bilder und die Schicksale ihrer einstigen Besitzer zur Zeit des Nationalsozialismus zu thematisieren. Denn St. Gallen war vor und während des Zweiten Weltkriegs ein Umschlagplatz für Werke, die in Nazi-Deutschland gehandelt wurden. Oft waren deren jüdische Vorbesitzer enteignet, deren Werke unter Druck verkauft worden. Zwei bekannte Bilder – ein vorbildlich geklärter und ein seit Jahren strittiger Restitutionsfall – hängen nun ebenso in der Ausstellung wie gut zwei Dutzend Werke, deren Provenienz derzeit ein zweites Mal abgeklärt wird.

Sind sie aufgrund ihrer Geschichte in Nazi-Deutschland «kontaminiert» oder nicht? Darüber verliert das Kunstmuseum – mit einer Ausnahme – in seiner Ausstellung kein Wort. Das Schweigen ist umso bedauerlicher, als durchaus auch Verbindungen zu Bern und zum Umfeld der Familie Gurlitt bestehen.

Andauernde Lösungssuche

Das Schweigen des St. Galler Museums passt zu dessen Umgang mit der seit 15 Jahren im Raum stehenden Restitutionsforderung in Bezug auf Ferdinand Hodlers Bild «Thunersee mit Stockhornkette». Die NZZ berichtete erstmals 2003 darüber. Das Bild gehörte dem jüdischen Kunstsammler Max Silberberg und musste musste 1935 unter Druck der Nazis versteigert werden. Die Erben fordern das Bild zurück oder aber den halben Handelswert des Bildes. Dieses gehört zwar der Familienstiftung des einstigen sankt-gallischen Regierungsrats Simon Frick, der das Bild nach dem Krieg bei der Galerie Kornfeld in Bern gutgläubig erworben hatte, ist aber als Dauerleihgabe beim Kunstmuseum St. Gallen.

Nun ist es, nachdem es zwischendurch abgehängt worden war, im Rahmen der «Glanzlichter» wieder zu sehen – mitsamt einem knappen Begleitzettel, der auf den Restitutionsfall hinweist. «Die Lösungssuche dauert an», teilt das Kunstmuseum auf Anfrage mit. «Wir stehen in engem Kontakt mit den Parteien.» Allerdings bleiben Ergebnisse seit Jahren aus, Informationen durch das Museum erfolgten nicht oder waren widersprüchlich. In einem Interessenkonflikt steht Museumsdirektor Roland Wäspe, der gleichzeitig Mitglied der Frick-Stiftung ist, die bisher eine Lösung stets ablehnte.

Ob das Bild aufgrund des laufenden Verfahrens überhaupt öffentlich gezeigt werden darf, ist umstritten: Eine Vertreterin der Silberberg-Erben nannte dies einst eine «eklatante Verletzung der Washingtoner Erklärung», die den Umgang mit Kunst aus der Zeit der Nationalsozialisten regelt.

«Odalisque» – vorbildlicher Fall

Das Hodler-Bild bleibt, solange der Fall ungeklärt ist, «vergiftet». Eine vorbildliche Lösung gelang dem Kunstmuseum St. Gallen hingegen bereits 2001 im Restitutionsfall für das Bild «Odalisque» von Camille Corot. Die Nationalsozialisten hatten es während des Kriegs seinem jüdischen Eigentümer in Frankreich geraubt. 1959 gelangte es auf unbekannten Wegen zum Kunsthändler Peter Nathan in Zürich. Er und der berechtigte Erbe Michel Dauberville schenkten es sodann zu halben Teilen den Kunstmuseen St. Gallen und Basel – die Lösung gilt als beispielhaft. Corots «Odalisque» hängt nun als eines der Glanzlichter der St. Galler Sammlung in Ausstellungsraum drei.

Beispielhafte Restitutionslösung – Camille Corots «Odalisque».

Der Vater von Peter Nathan, Fritz Nathan, machte St. Gallen vor und während des Zweiten Weltkriegs zu einer Drehscheibe für den Kunsthandel. Er musste als jüdischer Kunsthändler 1936 von München in die Ostschweiz emigrieren, unterhielt aber weiterhin Kontakte zu Nazi-Deutschland. In St. Gallen reorganisierte er die Sturzeneggersche Gemäldesammlung, die über hundert Werke umfasst. 1939 waren deren Werke bereits einmal im Kunstmuseum Bern ausgestellt. Nathan unterhielt auch Kontakt mit der Berner Galerie Kornfeld, die wiederum diskreten Kontakt zur Familie Gurlitt unterhielt.

Glanzlichter der Sammlung: Bilder aus der Sturzeneggerschen Sammlung – Herkunft ungewiss. 

Nicht weniger als 30 der in St. Gallen nun präsentierten Gemälde stammen aus dem Fundus der Sturzeneggerschen Sammlung. Ihre Provenienz war schon 1998 einmal untersucht und für unbedenklich erachtet worden, obwohl zahlreiche Bilder, die auch jetzt in der Ausstellung hängen, durch Fritz Nathan aus Nazi-Deutschland unter günstigen Bedingungen zugekauft worden waren. Offensichtlich ist das Kunstmuseum St. Gallen unsicher geworden: Es gehört zu den zehn Schweizer Museen, die sich letztes Jahr erfolgreich beim Bund um Gelder beworben haben, um die Herkunft möglicher NS-Raubkunst zu erforschen und öffentlich zu machen. «Aufgrund der inzwischen fortgeschrittenen Erkenntnisse», hofft St. Gallen, könnten insbesondere aus der Sturzeneggerschen Sammlung eventuelle Verdachtsfälle eruiert und möglichst geklärt werden. Die entsprechenden Arbeiten sind soeben auf aufgenommen worden.

https://www.nzz.ch/schweiz/stgallens-zeigt-kunstwerke-aus-der-nazi-zeit-vergiftete-und-entgiftete-bilder-ld.145917
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