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Überzeitliche Gerechtigkeit - Overdue Justice

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Basler Zeitung 20 November 2017
von David Klein

Die Raubkunst der Nazis und das Kunstmuseum Basel: Der Fall des Kunsthistorikers Curt Glaser.


Christoph Eymann sah keinen Zwang darin, dass Glaser von einem Tag auf den anderen von den Nazis seines Postens als Direktor der Berliner Kunstbibliothek enthoben wurde

Der Fall Glaser ist in groben Zügen bekannt. 1933 ersteigerte das Kunstmuseum Basel im Berliner Auktionshaus Max Perl 120 Papierarbeiten aus der Sammlung des von den Nazis verfolgten Kunsthistorikers Prof. Dr. Curt Glaser zu Schnäppchenpreisen. Seit 2008 verweigert die Basler Regierung Glasers Erben die Rückgabe der Werke und machte – das deckte die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens SRF unlängst auf – in der diesbezüglichen Medienmitteilung vom 19. Februar 2008 nachweislich falsche Aussagen. Wie abwegig die Begründung der Restitutionsablehnung ist, nämlich dass Glaser seine Kunstschätze aus freien Stücken veräussert hat, erschliesst sich erst nach eingehender Prüfung des Sachverhalts und der Briefe von Glaser an den Maler Edvard Munch, die der Basler Zeitung vorliegen.

Der Basler Anwalt Peter Mosimann erstellte als Präsident der Basler Kunstkommission das Rechtsgutachten für das Kunstmuseum Basel, welches die Ablehnung der Rückgabeforderung begründete. Als Grundlage für die Bewertung der Ereignisse, die zu den Auktionen von Curt Glasers Besitz führten, bezog sich Mosimann auf die Dissertation «Curt Glaser: Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Sammler: eine deutsch-jüdische Biographie» des Münchner Kunsthistorikers Andreas Strobl aus dem Jahre 2006.

Strobl selbst kann die Ablehnung nicht nachvollziehen. «Die Verantwortlichen stellen sich, freundlich ausgedrückt, moralisch nicht gerade glänzend dar», sagt Strobl am Telefon. Er hält die Restitutionsverweigerung für den «Versuch, das damalige Vorgehen des Kunstmuseums Basel zu entschuldigen». Strobl beklagt ausserdem eine «enorme Verlogenheit in der Debatte um Flucht- oder Raubkunst».

Auf die Frage nach einer moralischen Verpflichtung im Fall Glaser antwortete Peter Mosimann in einem Radiointerview mit SRF 2 Kultur vom 21. Februar 2008, eine solche «müsste so konstruiert werden, dass man sagt, bereits 1933 war den Kunstkennern bekannt, dass insbesondere Juden unter Zwang Kunstgüter abgeben mussten». Dies sei «zum Einen zu jener Zeit nicht bekannt» gewesen und dass Glaser «seine Werke mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit freiwillig zur Auktion gebracht» habe. Es hätte «keine Anzeichen» dafür gegeben, «dass es sich hier irgendwie um Raubkunst handeln würde». Das ist aus diversen Gründen eine abenteuerliche Auslegung der Fakten.

Systematisch verfolgt

Am 1. April 1933 liessen die Nazis reichsweit den als «Judenboykott» bezeichneten offiziellen Boykott jüdischer Geschäfte, Warenhäuser, Banken, Arztpraxen, Rechtsanwalts- und Notarkanzleien durchführen. Es war die erste, gezielt nur gegen Juden gerichtete Massnahme, um die 1920 im «25-Punkte Programm» der NSDAP beschlossene Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben zu initiieren.

Am 7. April 1933 wurde das «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» erlassen, das den Nazis ermöglichte, jüdische Beamte aus dem Staatsdienst zu entfernen. Diesem Gesetz fielen neben Glaser auch Max J. Friedländer, Direktor der Gemäldegalerie sowie Wilhelm Waetzoldt, Generaldirektor der Staatlichen Museen zum Opfer.

Am 10. Mai 1933, eine Woche bevor die Auktion von Glasers Besitz stattfand, wurden als Höhepunkt der «Aktion wider den undeutschen Geist» öffentliche Bücherverbrennungen auf dem Berliner Opernplatz und in 21 weiteren deutschen Städten abgehalten, mit denen die systematische Verfolgung jüdischer und anderer oppositioneller Schriftsteller ihren Anfang nahm. Im gleichen Jahr wurde die sozialdemokratische Partei verboten und insgesamt mehr als 150'000 Menschen (vorwiegend Juden) in Konzentrationslager deportiert.

Von alldem wollen weder der an der Berliner Auktion vom 18. und 19. Mai 1933 anwesende Direktor des Kunstmuseums Basel, Otto Fischer, noch die Basler Kunstkommission und auch Peter Mosimann, der nach «umfassend und sehr sorgfältig vorgenommener Prüfung» zum Schluss kam, dass es sich bei Glasers Werken «zweifelsfrei nicht um sogenannte Raubkunst» handelt, etwas gewusst haben.

Vor allem im Fall des deutschstämmigen Kunsthistorikers Fischer ist diese Annahme mehr als unglaubwürdig. «Von jetzt an sind wir vogelfrei», notierte der Mäzen und Zeitgenosse Glasers, Harry Graf Kessler, in sein Tagebuch. Dessen ungeachtet referierte Michael Koechlin, der damals zuständige Basler Kulturchef, im SRF-«Kulturplatz», Glaser hätte seine Kunstschätze nicht unter «Zwang» sondern lediglich unter «Druck» verkaufen müssen.

Offensichtlich sah der heutige LDP-Grossrat, wie auch sein Departementsvorsteher Christoph Eymann und die restlichen Regierungsmitglieder keinen Zwang darin, dass Glaser von einem Tag auf den anderen von den Nazis seines Postens als Direktor der Berliner Kunstbibliothek enthoben wurde und die Gestapo in seiner Wohnung ihr Hauptquartier aufschlug. Eymann und Koechlin haben auf mehrmalige schriftliche Anfrage nicht reagiert.

Von allen Bildern getrennt

Der neue Präsident der Basler Kunstkommission, Rechtsprofessor Felix Uhlmann, stösst ins gleiche Horn wie Mosimann. Für Uhlmann ist die «entscheidende Frage, moralisch und auch rechtlich», unter welchen Voraussetzungen Curt Glaser seine Bilder verkauft habe und ob es ein «Zwangsverkauf» gewesen sei. Glasers Verkaufsentscheid hätte «auf mehreren Sachen beruht», bekräftigt Uhlmann in der «Rundschau».

Auch Mosimann schreibt auf Anfrage: «Aus Überzeugung kann ich Ihnen indes nach zahlreichen Nachforschungen versichern, dass meines Erachtens der Entscheid von Curt Glaser, sich von seiner Sammlung zu trennen, bereits 1932 geschah, und mithin die Geschehnisse nach dem 30. Januar 1933 nicht kausal waren für seinen Entscheid, sich von allem zu trennen.»

Beide verweisen auf den Tod von Glasers langjähriger Frau Elsa 1932, über den Glaser Munch am 27. Oktober 1932 in Kenntnis setzt sowie auf einen weiteren Brief an Munch, in dem Glaser «sinngemäss» schreibe, er wolle sich «von allem trennen».

Diesen Brief schrieb Glaser jedoch erst am 19. Mai 1933, am zweiten Auktionstag bei Max Perl, Monate nachdem ihn die Nazis am 4. April 1933 «zwangsweise beurlaubt» und aus seiner Wohnung geworfen hatten: «Mein lieber alter Freund, seitdem ich Ihnen das letzte Mal geschrieben habe, hat sich so vieles hier ereignet, dass ich Ihnen ein ganzes Buch schreiben müsste, wenn ich Ihnen alles der Reihe nach erzählen wollte. Es ist mit einem Worte so, dass seit dem Tode meiner Frau die ganze Welt meiner Vergangenheit Stück um Stück zusammengebrochen ist, bis auch nichts mehr davon übrig bleibt. Es begann scheinbar mit einer Kleinigkeit, mit dem Tod meines Hundes. Es war mir ein Signal, dem alles andere folgte. Ich musste meine Wohnung aufgeben, ich habe mein Amt verloren. Da ich es sinnlos fand, jetzt eine neue grosse Wohnung zu mieten, habe ich mich von all meinem Besitz frei gemacht, um irgend einmal wieder ganz neu anzufangen.»

Kein Wort von Hitler, der Gestapo, dem Judenboykott, der systematischen Vertreibung von Juden aus dem Staatsdienst oder den Bücherverbrennungen, die in Berlin von einer flammenden Rede des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels begleitet wurden, in der dieser das Ende des «Zeitalters eines überspitzten jüdischen Intellektualismus» verkündet. Dass aus diesen merkwürdig unspezifischen Zeilen die vornehme Zurückhaltung des mehrfachen Buchautors Glaser spricht, ist fraglich. Vielmehr handelt es sich hier um eine selbstauferlegte Zensur, um nicht noch mehr ins Fadenkreuz der Faschisten zu geraten.

In die Schweiz geflohen

Mosimann und Uhlmann kaprizieren sich darauf, mit dem Zusammenbruch von Glasers «Welt meiner Vergangenheit» sei einzig der Tod seiner Frau und des Hundes gemeint, nicht der genozidale Rassenwahn der Nazis, der sich unübersehbar in allen Bereichen jüdischen Lebens manifestierte.

Diesen Brief als Nachweis für Glasers vermeintlich freiwillige Veräusserung seiner Kunstsammlung, Bücher und Wohnungseinrichtung anzuführen, und dass Glaser diesen Entscheid bereits 1932 getroffen hätte, ist reine Spekulation und entbehrt jeder Grundlage. Ohne Hitlers «Endlösung der Judenfrage» hätte Glaser keinerlei Grund gehabt, sich derart überstürzt und radikal zu entwurzeln. Zumal er eine neue Liebe gefunden hatte: «Glücklicherweise zeichnet sich in all dem Zusammenbruch ein neuer Aufbau ab. Ich lebe seit einiger Zeit wieder mit einer Frau, die sehr viel jünger ist als ich, aber mir sehr eng verbunden ist». Dabei handelt es sich um die Jüdin Marie Milch, die am 30. Mai 1933 Glasers zweite Ehefrau wird. Wochen später fliehen beide in die Schweiz.

Ob man denn Angst hätte, dass man mit der Rückgabe der Lithografien «eine Schleuse öffnet», wird Peter Mosimann im Radiointerview von 2008 gefragt. Seine Antwort ist entlarvend: «Das spielt in den Erwägungen sicherlich auch eine Rolle. Wenn man im Fall Glaser nachgibt, dann gibt es in der Tat im Weltmarkt des Kulturgütertransfers dutzendweise Fälle.»

Zum Gespräch bereit

Zur Frage, ob der Basler Regierung 2008 das Protokoll der Kunstkommission bekannt war, will sich Uhlmann, der die «Lebenssituation von Curt Glaser» schönfärberisch als «schwierig» beschreibt, nicht äussern: «Der genaue Wissenstand der Basler Regierung ist bei dieser zu erfragen.», schreibt er auf Anfrage. Er stehe «im Austausch mit dem Präsidialdepartement» und werde «in der nächsten Sitzung der Kunstkommission die Thematik aufbringen». Auch Mosimann lässt wissen, er sei «nicht ermächtigt, den Entscheid des Regierungsrats des Kantons Basel-Stadt zu kommentieren».

Dazu schreibt das zuständige Präsidialamt, Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann sei «selbstverständlich gesprächsbereit». Vorerst würden jedoch «die Grundlagen geprüft, die nun in der Kritik stehen.» Die Ergebnisse dieser Prüfung stellt Pressesprecherin Melanie Imhof in rund zwei Wochen in Aussicht.

«Das Ideal der Geschichtsschreibung ist eine überzeitliche Gerechtigkeit», schreibt Glaser in seinem 1921 erschienenen Werk zu Lucas Cranach. Vor allem hinsichtlich der Tatsache, dass «der Entscheid der Basler Regierung nicht auf einem gerichtlichen Verfahren beruht», wie Peter Mosimann bestätigt, sollte die Stadt Basel nach über 80 Jahren unrechtmässigen Besitzes die Gelegenheit wahrnehmen, Curt Glaser Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

David Klein ist Musiker und Komponist.

https://bazonline.ch/kultur/kunst/ueberzeitliche-gerechtigkeit/story/17857074
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