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Für Löwen hatte Hermann Göring eine Schwäche - Goering's weakness for lions

1998
1970
1945
Die Welt 23 March 2018
Von Sven Felix Kellerhoff

Der Löwenjagd-Sarkophag unter einem Renaissance-Gemälde beim Besuch des jugoslawischen Prinzregenten Paul in Carinhall 1939

Der zweite Mann des Dritten Reiches raffte an Kunst zusammen, was ihm in die Hände fiel. Jetzt werden erstmals Görings antike Artefakte umfassend dokumentiert – darunter auch zwei Löwensarkophage.

Der König der Tiere ist der Löwe – und zugleich das Tier der Könige. Hermann Göring, obwohl nur zweiter Mann im Dritten Reich, fühlte sich hinter dem gottgleichen „Führer und Reichskanzler“ als so etwas wie ein König. Für Preußen, das Land, dem er seit dem 11. April 1933 als Ministerpräsident vorstand, traf das in etwa auch zu: Viel mehr Pracht als Göring in seinem Landsitz Carinhall in der Schorfheide, 65 Kilometer nördlich vom Berliner Regierungsviertel, hatte auch etwa Friedrich der Große nicht entfaltet.

Wie es sich für einen König gehörte, liebte Göring es, sich mit Löwen zu zeigen. Mit echten Raubkatzen, die er sich aus den Beständen des Berliner Zoos „auslieh“, solange sie noch klein und anschmiegsam waren und die zurückgeschickt wurden, wenn sie ihre Instinkte als Jäger zu entwickeln begannen.

Hermann Göring posiert 1936 mit seinem Lieblingslöwen Mucki in Carinhall

Und mit Löwen aus Stein: Mindestens zwei große Löwensarkophage aus Marmor gehörten zu der unübersehbaren Fülle an Kunstwerken, die Göring in Carinhall versammelte. Die Herkunft und den Verbleib der antiken Stücke darunter behandelt die Archäologin Laura Puritani von den Staatlichen Museen Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz im dritten Band der „Dokumentation des Fremdbesitzes“, der jetzt in der Bundeshauptstadt vorgestellt worden ist.

Provenienzforschung ist gegenwärtig das heißeste Thema in den meisten deutschen, aber auch vielen europäischen Museen. Woher stammen Kunstwerke, und wie sind sie in die Verfügung, möglicherweise auch ins Eigentum der aktuellen Besitzer gekommen? Nicht nur der Kunstraub in der NS-Zeit macht das kompliziert, denn auch in den Jahrzehnten zuvor und danach ist bei sehr vielen Werken unklar, wie und wann und vor allem unter welchen Umständen sie verkauft, weitergegeben oder schlicht gestohlen wurden.

Einer der langen Gänge in Carinhall – unter dem großen Gemälde links steht der Sarkophag mit der Löwenjagd

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, eine der größten und wichtigsten Kultureinrichtungen weltweit, betont seit dem Washingtoner Abkommen über Raubkunst von 1998 die Bedeutung von Provenienzforschung besonders. Dennoch gab es bisher gerade für die vielen antiken Stücke, die im Zuge des und in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg in ihre Magazine fanden, keine gründliche Dokumentation. Diese Lücke schließt jetzt Laura Puritani.

Der erste Teil ihres Katalogs mit insgesamt 127 Nummern zeigt Skulpturen, Keramiken und Bronzearbeiten, deren Provenienz ungeklärt ist. „Damit geben wir den bislang unbekannten oder unauffindbaren Eigentümern beziehungsweise deren Nachkommen endlich eine realistische Chance, ihre Besitzansprüche anzumelden“, sagt Andreas Scholl, der Direktor der Antikensammlung Berlin.

Zeithistorisch spannender ist der zweite Teil des Katalogs, in dem es um 42 Stücke geht, die zwischen 1935 und 1945 in Carinhall aufbewahrt wurden und von dort in den Bestand des Staatlichen Museums Berlin gekommen sind; es handelt sich nur um einen kleinen Ausschnitt all der Kunst, die Göring in der Schorfheide zusammenraffte, denn besonders hatten es ihm Gemälde aus der Gotik und der Renaissance angetan, aber auch Tapisserien und andere Meisterwerke. Zu den größten Antiken gehörten die beiden Löwensarkophage.

Adolf Hitler und Hermann Göring in Carinhall, 1934 (beschädigtes Glaspositiv)
Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-03643A / CC-BY-SA 3.0

Dem neuen Katalog von Laura Puritani kann man ihre Geschichte entnehmen. Der mit zwei auskragenden Tierköpfen mit Mähnen versehene Sarkophag, der ansonsten fein geriffelt ist, stammt wohl aus dem 3. Jahrhundert nach Christus, also aus der letzten Blütezeit der klassischen Antike. Er wurde 1942 von Görings Beauftragtem Walter Andreas Hofer (1893 bis wahrscheinlich 1971) in Rom für 120.000 Lire erworben – ein stolzer Preis, der ungefähr 45 durchschnittlichen Jahresgehältern in Deutschland entsprach, also heute etwa 1,7 Millionen Euro.

Als allerdings der Verkäufer erfuhr, wer der eigentliche Interessent war (Hofer verwendete gelegentlich unvorsichtigerweise einen Briefkopf mit dem Titel „Der Direktor der Kunstsammlungen des Reichsmarschalls“), wollte er auf einmal nicht mehr verkaufen. Natürlich ging es nur darum, den Preis hochzutreiben. Hofer berichtete stolz an Göring, es sei ihm gelungen, „nach tagelangen Verhandlungen“ dem „Gauner“ den Sarkophag zum ursprünglich vereinbarten Preis abzukaufen: „Er wird Ihnen eine große Freude bereiten.“

Aufgestellt wurde das 2,12 mal 1,17 Meter große Stück ausweislich eines erhaltenen Fotos zumindest zeitweise in der Großen Jagdhalle von Carinhall, dem fast 300 Quadratmeter große Hauptrepräsentationsraum. Nach Kriegsende wurde der Sarkophag in Carinhall geborgen; ein Foto in Puritanis Dokumentation zeigt zwei Frauen bei der Reinigung des Marmorartefakts mit Wassereimern.

Carinhall wurde am 28. April 1945 von Luftwaffensoldaten mit vorher verteilten Fliegerbomben gesprengt
Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-M0903-328 / Donath, Otto / CC-BY-SA 3.0

Auf den ersten Blick noch eindrucksvoller ist der zweite Sarkophag, der auf drei Seiten einen Fries mit einer hervorragend gestalteten Löwenjagd zu Fuß und zu Pferde zeigt. Er ist mit 221 Zentimetern etwas länger, allerdings mit 84 Zentimetern weniger breit.

Vor allem aber handelt es sich nach Laura Puritanis Katalog um eine nachantike Arbeit; ob sie als Original erworben wurde, ist unklar. Aufgestellt wurde dieser Sarkophag ausweislich erhaltener Fotos zeitweise in der Festhalle, zeitweise in der langen Galerie mit einem Deckel als Basis für andere Kunstwerke. Das spräche dafür, dass Göring um den begrenzten kunsthistorischen Wert des Exponats wusste.

Laura Puritani: „Dokumentation des Fremdbesitzes. Antikensammlung. Antiken aus Carinhall“. (Staatliche Museen Berlin. 211 S., 35 Euro)

https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article174823838/Raubkunst-Fuer-Loewen-hatte-Hermann-Goering-eine-Schwaeche.html
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