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NS-Raubkunst: 20 Jahre Washingtoner Erklärung mit durchwachsener Bilanz - Mixed record of 20 years of the Washington Principles

1998
1970
1945
Der Standard 10 december 2018
von Olga Kronsteiner

Versäumnisse eines Musterschülers: Während sich das Ergebnis in Österreich stattlich ausnimmt, fällt es in Deutschland ernüchternd aus


Am 3. Dezember jährte sich die Verabschiedung der Washingtoner Erklärung von 1998 zum 20. Mal. 44 Staaten hatten sich damals verpflichtet, Kulturgut, das während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt worden war, ausfindig zu machen, die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben zu finden und rasch Schritte zu setzen, um zu "fairen und gerechten Lösungen" zu gelangen. Rechtlich bindend war diese in elf Grundsätzen formulierte Vereinbarung allerdings nicht. Sie wurde von den Ländern mit unterschiedlichen Regelungen, teils aber auch gar nicht umgesetzt. Dementsprechend dürftig fällt das internationale Ergebnis zwei Dekaden später aus.

Etwa in den USA, wo man nicht müde wird, Versäumnisse in Europa einzumahnen, sich jedoch die eigenen Museen nur sehr zögerlich der Provenienzforschung und der Klärung strittiger Fälle widmen. Sieht man von europäischen Raubkunst-Causen ab, die dort bisweilen vor Gericht landen. Oder auch in Frankreich, wo eine strukturelle Forschung ausblieb und nur solche Fälle behandelt wurden, die an Museen herangetragen wurden.

Priorität bestimmen Museen

Selbst der ewige Musterschüler Deutschland darf sich hierzu keinen Lorbeerkranz flechten. Zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien hatte sich die Bundesregierung Ende 1999 verpflichtet. Seither sollte die Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes auf der Agenda der Länder und öffentlicher Sammlungen stehen.

Dazu hatte man an einer "Handreichung" getüftelt, die eine "rechtlich nicht verbindliche Orientierungshilfe" zur Umsetzung bot. Die Priorität, mit der die Selbstverpflichtung vorangetrieben wird, ist jedoch den Museen überlassen. Über die Anerkennung der von Erbengemeinschaften vorgelegten Nachweise einstiger Eigentümerschaft entscheiden wiederum die Justiziare in den Kultusministerien der Länder.

Versteckt hinter Bürokratie

Deutschland verstecke sich gerne und oft hinter seiner Bürokratie, diagnostizierte Ronald S. Lauder jüngst in einem Interview. "Organisierte Verantwortungslosigkeit", so das Resümee des Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses. Die Zahlen sind in der Tat ernüchternd: Laut Website des Bundesverwaltungsamtes wurden aus deutschem Bundesbesitz seit 2000 gerade einmal 54 Kunstwerke restituiert, landesweit waren es 5750 Kulturgüter sowie 11.670 Bücher und anderes Bibliotheksgut – aus mehr als 5000 öffentlichen Kultureinrichtungen.

Demgegenüber nehmen sich rund 62.700 in Österreich restituierte Objekte, und zwar allein aus Bundesbesitz, jene aus Beständen der Bundesländer sind hier noch nicht inkludiert, wahrhaft stattlich aus. Die österreichische Bilanz unterscheidet sich auf mehreren Ebenen deutlich von jener anderer Unterzeichnerstaaten. Dabei war die Ausgangssituation keine rühmliche, wie die damals sukzessive vom STANDARD aufgedeckten prominenten Raubkunstfälle belegten. Sie zeigten nicht nur eklatante Versäumnisse auf, sondern auch einen teils fragwürdigen Umgang mit Opfern und Nachfahren.

Schiele-Beschlagnahmung

In der öffentlichen Wahrnehmung hatte die Beschlagnahme zweier Gemälde von Egon Schiele aus der Sammlung Leopold in New York im Jänner 1998 für eine Zäsur gesorgt – sowohl international als auch hierzulande, wo man sich schließlich zu einer professionellen Handhabung durchrang. Am 5. Dezember trat schließlich das Kunstrückgabegesetz in Kraft, das auch nach 20 Jahren weltweit noch immer das einzige Gesetz dieser Art ist.

Seither erfolgte eine systematische Erforschung der Bestände in Bundesmuseen und gab die eigens eingerichtete Kommission für Provenienzforschung 342 Empfehlungen ab, auf denen wiederum die Rückgabe zehntausender Objekte basierte. In der Mehrheit waren es übrigens Güter von geringem wirtschaftlichem Wert, wenngleich die aus Bundesbesitz restituierten Kunstwerke die größte Aufmerksamkeit genossen.

Allen voran Gustav Klimts Porträt Adele Bloch-Bauer I (1907), das 2006 nach dem Entscheid eines Schiedsgerichtes zusammen mit anderen Werken an die Erbin Maria Altmann zurückgegeben wurde. Für 135 Millionen Dollar fand die "Goldene Adele" in Ronald S. Lauders Privatmuseum, der Neuen Galerie New York, eine endgültige Heimat. Eine Rückkehr nach Österreich – und sei es nur temporär als Leihgabe für eine Ausstellung – blieb ihr bislang verwehrt 

 

https://derstandard.at/2000093610338/NS-Raubkunst-20-Jahre-Washingtoner-Erklaerung-eine-Bilanz
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