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"Manchmal dauert es Jahre, bis die Erben gefunden sind" - "Sometimes it takes years to find the heirs"

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Thüringer Allgemeine 5 March 2021
Christiane Weber

Wie läuft eine Provenienzsuche ab? Das wollten wir von Cora Chall, Juristin im Team für Provenienzforschung der Klassik-Stiftung Weimar, wissen.


Erben gesucht: Die aquarellierte Radierung „Kloster Paulinzella“ von Georg Melchior Kraus (1737-1806) gehörte dem NS-verfolgten Dresdner Rechtsanwalt Leon Nathansohn (1874-1944). Die Graphik wurde als verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut identifiziert, nach den rechtmäßigen Erben wird in diesem Fall noch gesucht.

„Erben in Brasilien gefunden“, meldete die Klassik-Stiftung Weimar vor kurzem einen weiteren Erfolg bei der Provenienzforschung. Die Stiftung forscht seit 2010 in ihren Beständen systematisch und bestandsübergreifend nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Zum Team gehören die Historiker Rüdiger Haufe und Sebastian Schlegel sowie die Juristin Cora Chall. Wie läuft eine solche Suche ab? Wir sprachen mit Cora Chall, die seit drei Jahren im Team Provenienzforschung ist.


Cora Chall, Juristin für Provenienzforschung, bei der Klassik-Stiftung Weimar.

Zunächst wird nach direkten Nachkommen geforscht. Meistens wurde bereits durch die historische Forschung zu den Erwerbungsumständen geklärt, ob die früheren Eigentümer Kinder oder andere Angehörige hatten. Als Juristin des Teams übernehme ich den Fall meistens in diesem Stadium und suche dann chronologisch nach weiteren Nachkommen.

Wo finden Sie Anknüpfungspunkte?

Wichtigster Anknüpfungspunkt sind die Wiedergutmachungs- und Entschädigungsakten aus den Nachkriegsjahren. Wenn hier bereits ein Antrag auf Wiedergutmachung gestellt wurde, erfährt man bereits, ob Familienmitglieder oder die Opfer selbst den Holocaust überlebt haben. Oft sind allerdings keine Wiedergutmachungsakten vorhanden, dann muss zunächst nach Überlebenden gesucht werden. Hier gibt es viele NS-Verfolgtendatenbanken.

Wie läuft eine solche mehrjährige Recherche ab?

Das ist von Fall zu Fall verschieden. Manchmal sind Rechtsnachfolger recht schnell gefunden, aber es dauert noch Jahre, bis diese Nachweise über die Rechtsnachfolge übersenden. Manchmal ist man auf Recherchen bei Nachlassgerichten angewiesen. Manchmal stößt man zwar frühzeitig auf Namen, es dauert aber, bis sich aktuelle Ansprechpartner finden. So war es auch in dem Brasilien-Fall. Wir hatten hier die Namen der nächsten Erben, es hat aber eine ganze Weile gedauert, bis wir im Internet auf deren Nachfahren gestoßen sind und diese kontaktieren konnten.

Welche Datenbanken stehen zur Verfügung?

Wichtige Datenbanken sind die zu Wiedergutmachungsakten, außerdem Personendatenbanken, in denen man etwa Adressen, Stammbäume, Geburtsurkunden, Heiratsurkunden oder Passagierlisten von Schiffen findet, die in der fraglichen Zeit von Europa in die USA gefahren sind. Auch in den Datenbanken zu Holocaustopfern wie in Yad-Vashem finden sich Informationen.

Was muss bei einer Recherche im Inland und was bei einer im Ausland beachtet werden?

Die Suche findet beinahe immer im Ausland statt Oft wird zunächst bei den entsprechenden Nachlassgerichten nachgefragt. Hier muss für jedes Land erst ermittelt werden, wie eine solche Suche funktioniert. Dies ist leider in jedem Land völlig anders geregelt. Im Ausland muss natürlich ausländisches Erbrecht beachtet werden, falls es keinen Erbschein gibt.

In welche Sackgassen gerät man bei einer solchen Spurensuche?

Die schwierigsten und traurigsten Fälle sind die, in denen man überhaupt keinen Hinweis auf überlebende Familienmitglieder findet, da keiner den Holocaust überlebt hat. Bisher haben wir in der Klassik-Stiftung aber noch keinen Fall aufgegeben und suchen in Abständen immer wieder nach neuen Wegen. Sehr problematisch sind auch Namensänderungen. Viele jüdische Flüchtlinge haben nach der Immigration ihre Namen an das entsprechende Land angepasst oder ganz andere Namen angenommen.

Wer kann helfen?

Neben Nachlassgerichten oder Stadtarchiven kann man sich an diverse Organisationen wenden. Sehr zu Dank verpflichtet sind wir der Commission for Looted Art in Großbritannien und dem HCPO (Holocaust Claims Processing Office) in New York. Bereits in mehreren Fällen konnten sie uns wichtige fehlende Informationen liefern oder den Kontakt zu Erben herstellen. Auch die Claims Conference (Zusammenschluss jüdischer Organisationen), könnte weiter helfen.

 

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