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NS-Raubgut im Badischen Landesmuseum: 1,8 Millionen Euro bezahlt das Land für Gallinek-Sammlung

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Badische Neueste Nachrichten 13 April 2022
von Isabel Steppeler

Bald 70 Jahre verwahrt das Museum im Karlsruher Schloss eine kostbare Porzellansammlung, die 1940 von den Nazis geraubt wurde. Vor zwei Jahren ging sie zurück an die Erben des jüdischen Kunstsammlers Ernst Gallinek. Jetzt hat das Land dafür viel Geld in die Hand genommen.


Es ist ein Wunder, dass sie noch zusammen sind: das Paar, das sich küsst, dazu eine Frau, die Wein verkauft, ein Mann, der ins Horn bläst und ein schneeweißer Pudel – nach rund 250 Jahren der einzige verbliebene seiner Art aus Nymphenburg. Und mit ihnen ein vierhundertfaches Mehr.

Sie sind klein, filigran, kostbar und vor allem: sehr, sehr zerbrechlich. Im Badischen Landesmuseum sind sie bestens behütet. Der Haken: Sie waren gestohlen – von den Nazis. Jetzt schließt sich der Kreis und alles hat seine Ordnung.

Sammlung von Ernst Gallinek ist seit bald 70 Jahren im Karlsruher Schloss

Bald 70 Jahre verwahrt das Badische Landesmuseum eine Porzellansammlung, die ihr die längste Zeit nicht gehörte. Die Nationalsozialisten hatten sie aus dem Nachlass des jüdischen Geologen Ernst Gallinek geraubt.

Erst um die Jahrtausendwende wurde der damaligen Pressesprecherin Irmela Franzke in ihrer Neugierde auf die Herkunft der Kostbarkeiten das Unrecht bewusst: „Das hat das Museum nie selbst gekauft“, erinnert sie sich an die Erkenntnis, die spät kam: im Jahr 2003. Sie ging der Sache nach und stieß über Verkaufsdaten von Auktionen der Zwischenkriegszeit auf den Namen Gallinek.

Vor zwei Jahren gab das Museum die 400 Objekte an die Erben zurück

So begannen aufwändige Recherchen. Katharina Siefert vom BLM-Referat Dokumentation übernahm. Heute ist sie am Haus die eigens für solche Fälle beauftragte Provenienzforscherin. Vor zwei Jahren schließlich gab das Museum die weit über 400 wertvollen Objekte an die rechtmäßigen Erben zurück. Zunächst auf dem Papier.

Die Sammlung des 1865 in Breslau geborenen und 1940 in Baden-Baden verstorbenen jüdischen Kunstsammlers stammt aus den berühmtesten Porzellanmanufakturen des 18. Jahrhunderts und ist ein seltenes Zeugnis der Tätigkeit von privaten Sammlern der Zwischenkriegszeit. Auch Geschirr, Vasen und Tapisserien gehören zu dem unrechtmäßig entzogenen Erbe, das seit 1953 im Karlsruher Schloss treuhänderisch verwaltet wurde. Noch etwas macht die Sammlung so besonders: Sie ist möglicherweise die einzige, die komplett erhalten ist.



Ernst Gallinek hatte ein Gespür für das exotische Material, das so genannte weiße Gold. Wie keine andere Sammlung illustiert die seine beispielhaft die Kulturgeschichte im Absolutismus oder im Biedermeier. Manche der Objekte europäischer und ostasiatischer Herkunft stammen sogar noch von August dem Starken (1670 bis 1733).

Deshalb war das Karlsruher Schloss sehr daran interessiert, die Sammlung zu behalten. Gerade der Bestand an Meißner Porzellan ist im BLM im Wesentlichen durch die Sammlung Gallinek abgedeckt. Das viele weiße Gold blieb als Dauerleihgabe im Museum.

Land und Kulturstiftung haben die Sammlung für 1,8 Millionen Euro gekauft

Jetzt ist viel Geld geflossen: Das Land Baden-Württemberg hat die Sammlung Gallinek von den Erben gekauft und somit dauerhaft für das Badische Landesmuseum gesichert.

1,5 Millionen Euro war es der landeseigenen Museumsstiftung Baden-Württemberg wert, und weitere 300.000 Euro hat die Kulturstiftung der Länder beigesteuert. Denn es geht dabei nicht nur um die Möglichkeit, ein wichtiges kulturelles Erbe weiter der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es geht auch darum, die Geschichte NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunst und die Rolle der deutschen Behörden und Museen zu erzählen, die daran aktiv beteiligt waren.

Mehr noch als 466 erlesene Objekte zeigt dieser Fall beispielhaft den einst sträflichen und daher heute oftmals komplizierten Umgang mit NS-Raubkunst. Die Wege sind verschlungen und oft undokumentiert.



Nachdem die Provenienzforscherinnen die Objekte als NS-Raubgut identifizierten, stellten sie die Sammlung im Januar 2008 in der Datenbank für durch die Nazis verursachte Kulturgutverluste ein, dem sogenannten Lost-Art-Register in Magdeburg. Der Stein kam ins Rollen. Mehrere Anspruchsteller hatten sich gemeldet. Zu klären, wer rechtmäßiger Erbe ist, war jedoch kompliziert.

Gallinek hatte sein Testament nämlich geändert, nachdem sein Neffe zur Nazi-Zeit in die USA emigiert war. Der Sammler musste fürchten, dass Nazi-Deutschland seinem Alleinerben die kostbaren Güter nie aushändigen würde. Deshalb benannte er in einem Zusatz seine Schwester und im Fall ihres Todes als Ersatzerbin die jüdische Gemeinde in Baden-Baden.

Obwohl die Schwester wie auch der Neffe inzwischen verstorben waren, entschied das Oberlandesgericht (OLG) in Karlsruhe im Jahr 2019 zugunsten der Erben aus dem familiären Umfeld Gallineks in den USA. Es „ist davon auszugehen, dass der Erblasser den Nachtrag nicht verfasst hätte, wenn er gewusst hätte, dass diese diskriminierenden Regelungen wenige Jahre nach seinem Tod durch den Zusammenbruch des NS-Regimes hinfällig wurden“, so das OLG.

Präsentation als Zeichen für politischen Willen

Als Datum für die Präsentation seines neu erworbenen alten Schatzes wählte das Museum den Internationalen Tag der Provenienzforschung. Um ein Zeichen zu setzen und „an den Sammler und an das ihm und seiner Familie angetane Unrecht zu erinnern“, so Staatssekretärin Petra Olschowski bei einer Pressekonferenz.

„Provenienzforschung ist eine kulturpolitische Aufgabe von höchster Priorität. Wir müssen weiter in hohem Tempo aufarbeiten.“ Und auch der Anwalt der Erben Gallineks, Markus Stötzel, betont: „Es geht um moralische Wiedergutmachung.“

Das Paar, der Pudel und alle Objekte lassen sich sogar aus der Ferne in aller Nähe studieren. Um die Geschichte der Sammlung Gallinek auch in die Zukunft transparent darzustellen, sind ab sofort alle Objekte in einer digitalen Datenbank zugänglich.

English translation:

Nazi-looted property in the Baden State Museum: the state paid 1.8 million euros for the Gallinek collection

For almost 70 years, the museum in the Karlsruhe Palace housed a valuable collection of porcelain that was stolen by the Nazis in 1940. Two years ago it went back to the heirs of the Jewish art collector Ernst Gallinek. Since a lot of money has been spent on the collection.  

It is a miracle that they are still together: the couple kissing, a woman selling wine, a man blowing a horn and a snow-white poodle - after around 250 years the only remaining of its kind from Nymphenburg. And with them a four hundredfold increase.

They are small, filigree, precious and above all: very, very fragile. They are well looked after in the Baden State Museum. The catch: They were stolen - by the Nazis. Now the circle closes and everything is in order.

Ernst Gallinek's collection has been in the Karlsruhe Palace for almost 70 years

For almost 70 years, the Badisches Landesmuseum kept a porcelain collection that did not belong to it. The Nazis stole it from the estate of the Jewish geologist Ernst Gallinek.

It was not until the turn of the millennium that the then press spokeswoman Irmela Franzke, in her curiosity about the origin of the treasures, became aware of the injustice: "The museum never bought it itself," she recalls the realization that came late: in 2003. She researched and came across the name Gallinek through sales data from interwar auctions.

Two years ago, the museum returned the 400 objects to the heirs

This is how extensive research began. Katharina Siefert from the BLM documentation department took over. Today she is the provenance researcher specially commissioned for such cases. Finally, two years ago, the museum returned well over 400 valuable objects to the rightful heirs. First on paper.

The collection of the Jewish art collector, who was born in Breslau in 1865 and died in Baden-Baden in 1940, comes from the most famous porcelain manufactories of the 18th century and is a rare example of the activities of private collectors between the wars. Crockery, vases and tapestries also belong to the unlawfully confiscated inheritance, which has been held in trust in the Karlsruhe Palace since 1953. There is something else that makes the collection so special: it is possibly the only one that has been preserved in its entirety.

Ernst Gallinek had a feeling for exotic material, the so-called white gold. Like no other collection, his illustrates the cultural history of absolutism or Biedermeier in an exemplary manner. Some of the objects of European and East Asian origin even date from August the Strong (1670 to 1733).

The Karlsruhe Palace was very interested in keeping the collection. The collection of Meissen porcelain in the BLM is essentially covered by the Gallinek collection. Much of the white gold remained in the museum as a permanent loan.

The state and cultural foundation bought the collection for 1.8 million euros

A lot of money has now flowed: the state of Baden-Württemberg has bought the Gallinek collection from the heirs and thus secured it permanently for the Baden State Museum.

It was worth 1.5 million euros to the state museum foundation of Baden-Württemberg, and the cultural foundation of the states contributed another 300,000 euros. Because it's not just about the opportunity to continue presenting an important cultural heritage to the public. It is also about telling the story of art confiscated as a result of Nazi persecution and the role of the German authorities and museums that were actively involved.

With more than 466 exquisite objects, this case exemplifies the once culpable and therefore often complicated handling of Nazi-looted art. The paths are tortuous and often undocumented.

After the provenance researchers identified the objects as Nazi-looted objects, they were entered in January 2008 in the LostArt database for cultural property losses caused by the Nazis in Magdeburg. The stone started rolling. Several claimants had come forward. However, clarifying who was the legal heir was complicated.

Gallinek changed his will after his nephew emigrated to the USA during the Nazi era. The collector had to fear that Nazi Germany would never hand over the valuable goods to his sole heir. Therefore, in an addition, he named his sister and, in the event of her death, the Jewish community in Baden-Baden as substitute heir.

Although the sister and nephew had died in the meantime, the Higher Regional Court (OLG) in Karlsruhe decided in 2019 in favor of the heirs from Gallinek's family in the USA. It "can be assumed that the deceased would not have written the addendum if he had known that these discriminatory regulations would become obsolete a few years after his death due to the collapse of the Nazi regime," according to the Higher Regional Court.

Presentation as a sign of political will

The museum chose the International Day of Provenance Research as the date for the presentation of its newly acquired ancient treasure. State Secretary Petra Olschowski said at a press conference in order to set an example and “remind everyone of the collector and of the injustice done to him and his family”.

“Provenance research is a cultural-political task of the highest priority. We have to continue to work at high speed.” And the lawyer for the Gallinek heirs, Markus Stötzel, also emphasizes: “It’s about moral reparation.”

The couple, the poodle and all objects can be studied up close, even from a distance. In order to present the history of the Gallinek collection transparently in the future as well, all objects are now accessible in a digital database.


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