News:

Provenienzforschung: Eine Kulturstiftung will Pionierin werden - Provenance research: A cultural foundation wants to become a pioneer

1998
1970
1945
SRF 24 January 2023
By Elinor Landmann

(English translation below)

Wie soll mit Kunstwerken umgegangen werden, die jüdischen Sammlern im NS-Regime entzogen wurden? Die Schweizer Stiftung SKKG richtet dafür eine unabhängige Kommission ein und gibt ihr weitreichende Kompetenzen.

Ein salomonisches Urteil gilt als gerecht, denn in der salomonischen Urteilsfindung ist die Richterin frei von eigenen Interessen: frei und unabhängig.

Genau diese Überlegung liegt der unabhängigen Kommission zugrunde, die die Schweizer Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) nun einrichtet. Denn: Diese Kommission entscheidet, unabhängig vom Stiftungsrat.

Ein einmaliger Machtverzicht

Diese Gewaltenteilung ist in der Schweizer Kulturlandschaft einzigartig. Hier wirkt eine private Stiftung als Pionierin und richtet unabhängige Strukturen für Entscheide ein, nicht die öffentliche Hand.

Im Bereich der öffentlichen Hand werden Entscheide nicht von unabhängigen Gremien getroffen: Schweizer Museen entscheiden bei Verdachtsfällen von Raubkunst selbst oder die Träger der Museen entscheiden. Über den Interessenskonflikt wird gern hinweggesehen, obwohl ein Museum dabei stets im Verdacht steht, die eigenen Bestände zusammenhalten zu wollen.

Ein neuer Wind in der Schweiz?

Aufhorchen lässt der Entscheid der SKKG, eine unabhängige Kommission einzurichten, auch, weil in der Schweiz sonst ein anderer Wind weht – wenn nicht sogar eher Windstille herrscht.

Für das Zürcher Kunsthaus berät derzeit ein runder Tisch über die Causa Bührle. Genauer gesagt: Er berät darüber, wer denn dereinst die Provenienzforschung der Bührle-Stiftung überprüfen soll.

Meinungsbildung am runden Tisch

Das dauert und es geht dabei um Meinungsbildung, nicht um Entscheide. Übrigens: Entscheiden wird dann die Bührle-Stiftung, ohne runden Tisch.

Die Einrichtung einer Kommission für strittige Fälle wird auch auf Bundesebene diskutiert und wurde von den Räten gutgeheissen. Wann sie kommt, ist unklar. Und: Dass diese Bundeskommission dann nicht entscheiden, sondern nur Empfehlungen abgeben wird, gilt als wahrscheinlich.

Eine Kommission aus Expertinnen

Während also anderswo zeitraubende Meinungsbildungsprozesse laufen oder zahnlose Kommissionen noch nicht eingesetzt sind, geht die SKKG mit einer unabhängigen Kommission voraus und besetzt sie mit ausgewiesenen Expertinnen und Experten.


Andrea Raschèr ist Raubkunstexperte, Jurist – und bald auch der Präsident des Gremiums.

Präsidiert wird das Gremium vom Juristen Andrea Raschèr, der das Kulturgütertransfergesetz auf die Beine stellte und Mitglied der Schweizer Delegation an der Washingtoner Konferenz 1998 war.

Eine diverse Kommission für mehr Akzeptanz

Dabei steht nicht nur die fachliche Qualifikation im Fokus, sondern auch die religiöse Diversität. Die unabhängige Kommission hat mehr als eine jüdische Position unter ihren Mitgliedern, sie besitzt sogar eine knappe jüdische Mehrheit.

Das ist wichtig: nicht, weil es vorausahnen liesse, wie hier entschieden wird. Aber die Zusammensetzung soll die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Kommission bei Betroffenen und jüdischen Organisationen gewährleisten.

Ihre Arbeit soll die Kommission dieses Jahr aufnehmen. Welche Entscheide sie mit welchen Begründungen vorlegt, wird darüber entscheiden, ob die SKKG die selbst hoch gelegte Latte auch erreicht.

English translation

How should works of art that were seized from Jewish collectors under the Nazi regime be dealt with? The Swiss foundation SKKG establishes an independent commission for this purpose and gives it far-reaching powers.


A Solomonic judgment is considered just, because in a Solomonic judgment the judge is free from her own interests: free and independent.

This is precisely the reasoning behind the independent commission that the Swiss Foundation for Art, Culture and History (SKKG) is now establishing. Because: this commission decides, independently of the foundation board.

A unique renunciation of power

This separation of powers is unique in the Swiss cultural landscape. Here, a private foundation acts as a pioneer and sets up independent structures for decision-making, not the public sector.

In the public sector, decisions are not made by independent bodies: Swiss museums make their own decisions in cases of suspected looted art, or the sponsors of the museums decide. The conflict of interest is gladly overlooked, although a museum is always suspected of wanting to keep its own holdings together.

A New Wind in Switzerland?

The SKKG's decision to set up an independent commission is a cause for concern, not least because a different wind is blowing in Switzerland - if not a rather calm one.

For the Zurich Kunsthaus, a round table is currently discussing the Bührle case. More precisely, it is discussing who should one day review the provenance research of the Bührle Foundation.

Forming opinions at the round table

This takes time, and it is a matter of forming opinions, not decisions. By the way, the Bührle Foundation will make the decisions without a round table.

The establishment of a commission for controversial cases is also being discussed at the federal level and has been approved by the councils. It is unclear when it will be set up. And it is likely that this federal commission will not make decisions, but only recommendations.

A commission of experts

So while elsewhere time-consuming opinion-forming processes are underway or toothless commissions have not yet been set up, the SKKG is going ahead with an independent commission and staffing it with proven experts.

The panel will be chaired by the lawyer Andrea Raschèr, who set up the Cultural Property Transfer Law and was a member of the Swiss delegation to the Washington Conference in 1998.

A diverse commission for greater acceptance


The focus is not only on professional qualifications, but also on religious diversity. The independent commission has more than one Jewish position among its members; it even has a slim Jewish majority.

This is important: not because it foreshadows how decisions will be made here. But the composition should ensure the credibility and acceptance of the commission among those concerned and Jewish organizations.

The commission is to begin its work this year. The decisions it presents and the reasons it gives will determine whether the SKKG reaches the bar it has set for itself.

https://www.srf.ch/kultur/kunst/wie-umgehen-mit-raubkunst-provenienzforschung-eine-kulturstiftung-will-pionierin-werden
© website copyright Central Registry 2024