News:

Offene Fragen zu Gustav Klimts "Bildnis Fräulein Lieser" - Open questions about Gustav Klimt's 'Portrait of Fräulein Lieser'

1998
1970
1945
Der Standard 13 April 2024
Olga Kronsteiner

(English translation below)

Wer war die Dargestellte, und warum werden Erkenntnisse aus STANDARD-Recherchen ignoriert?

Vor gut zehn Tagen ist die wertvolle Fracht wieder in Wien eingetroffen: Gustav Klimts Bildnis Fräulein Lieser,das vor der Versteigerung am 24. April vom Auktionshaus "im Kinsky" auf Tournee ins Ausland geschickt wurde. Dorthin, wo jene Klientel beheimatet ist, die zumindest 30, wenn nicht 50 Millionen Euro oder auch mehr zu bieten bereit sein wird.

In Kooperation mit der liechtensteinischen LGT-Privatbank gastierte das Werk Mitte März in London, danach in Genf, in Zürich und schließlich in Hongkong. Nun hält Fräulein Lieser im Palais Kinsky an der Wiener Freyung Hof und empfängt täglich von zehn bis 17 Uhr.


Das Ergebnis KI-basierter Alterung der porträtierten 19-Jährigen weist Ähnlichkeiten zu Helene Berger (rechts), geborene Lieser, auf.

Knapp drei Monate sind vergangen, seit der Fund des "rund 100 Jahre verschollenen" Bildes und der geplante Verkauf publik wurden. So sehr das Auktionshaus im Vorfeld um eine Klärung der Sachverhalte bemüht gewesen sein mag, offene Fragen bleiben. Auch zur Identität der 1917 Dargestellten, die wohl Rückschlüsse auf die spätere Eigentümerschaft des Werkes liefert, dessen Verbleib von 1925 bis in die 1960er-Jahre vorerst nicht rekonstruierbar war.

Neue Anhaltspunkte

Margarethe Constanze Lieser, Tochter des Industriellen Adolf Lieser, war seit Mitte der 1980er-Jahre die in der Fachliteratur publizierte Annahme. Kinsky-Recherchen förderten jedoch einen neuen Anhaltspunkt zutage. Das zuvor einzig bekannte Foto des Gemäldes basiert auf einem Negativ im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek, auf dessen Kuvert "1925 in Besitz von Frau Lieser, IV., Argentinierstraße 20" vermerkt ist: die Wohnadresse von Henriette "Lilly" Lieser, Schwägerin von Adolf Lieser und Mutter von Annie und Helene Lieser, die als potenziell Dargestellte ebenfalls infrage kommen.

Festlegen konnte und wollte sich das Auktionshaus nicht. So kam es zu einem Restitutionsvergleich mit beiden Erbengemeinschaften und dem gegenwärtigen Eigentümer als Grundlage für den Verkauf. In welchem Verhältnis der Erlös aufgeteilt wird, ist unbekannt, ebenso, ob die vor Monaten getroffene Vereinbarung aufgrund jüngerer Erkenntnisse nun Gegenstand von Nachverhandlungen ist.

Wie berichtet (20. Februar), war das unvollendet gebliebene und deshalb unsignierte Gemälde im November 1961 bei einer "Übersiedlung" in der Wiener Innenstadt aufgetaucht, wie die Presse damals vermeldete.

Illegales NSDAP-Mitglied

Erwähnt wurde Werner Hofmann, der als designierter Gründungsdirektor Interesse für das Museum des 20. Jahrhunderts (ab 1962, späteres Mumok) bekundet hatte. Spoiler: Der Kinsky-Geschäftsführung war dieser Artikel bekannt. Er sei auch mit den Anwälten der beiden Erbengruppen diskutiert worden, wie es jetzt auf Anfrage heißt. Warum er bei der Provenienzforschung des Auktionshauses nicht berücksichtigt wurde, bleibt unklar.

Denn im Hausarchiv des Mumok fand sich auf STANDARD-Nachfrage Korrespondenz, die durchaus Aufschluss über Vorgänge in der NS-Zeit gab, zugleich auch zur Identität desjenigen, der von der damaligen Eigentümerin, die "in den Gaskammern umgekommen" war, "mit der Verwahrung" des Bildes beauftragt worden war. Ein gewisser Adolf Hagenauer, Inhaber eines Delikatessengeschäfts und ehedem illegales NSDAP-Mitglied.


Die Verjüngung via Face App verdeutlicht die Fehlstelle einer Augenbraue.

Hofmann bemühte sich vergeblich, das Gemälde als Leihgabe zu bekommen. Wie aus einem Schreiben von Dezember 1961 hervorgeht, plante Hagenauer, es stattdessen seiner Tochter zu vererben. Und genau so sollte es kommen. Sie verstarb vergangenes Jahr hochbetagt und vermachte den Klimt wiederum an einen entfernten Verwandten.

Kammerdiener Jürka

Dem Auktionshaus liegt die Korrespondenz aus dem Mumok zwischenzeitlich vor, sie blieb im aktualisierten Katalogtext jedoch unerwähnt. Stattdessen wird der STANDARD-Artikel kursorisch zitiert, nicht aber die darin enthaltenen Fakten. Auch nicht die Verbindung zwischen Adolf Hagenauer und Lilly Lieser: ein gewisser Jürka, der im Rückstellungsverfahren zu ihrer Immobilien in der Argentinierstraße 20 als Zeuge erwähnt wird, der von Mitte 1939 bis Dezember 1941 bei ihr als Diener tätig gewesen sei.

Neuen Recherchen zufolge betreute er nicht nur Lilly Lieser, sondern auch deren Schwester Ida Mankiewics, die seit März 1939 bei ihr wohnte. Nach dem Verkauf des Palais im März 1941 hatten die beiden jedoch aus der Wohnung in das als Souterrain bezeichnete Kellergeschoß übersiedeln müssen. Sowohl Lieser als auch Mankiewics wurden später deportiert und ermordet: Lilly in Auschwitz, Ida in Theresienstadt.

Was auch immer Franz Jürka in Verwahrung übernommen haben könnte, wurde in den Nachkriegsjahren nicht aktenkundig. Laut dem Genealogen Georg Gaugusch handelte es sich um Adolf Hagenauers Schwiegervater, von Beruf Kammerdiener, wie den Matriken der Pfarre Mariahilf von 1906 zu entnehmen ist. Damit schließt sich ein Kreis, der aktuell in den Verkauf des Gemäldes Involvierte teils etwas in die Bredouille gebracht haben dürfte.

Seit NS-Zeit in Familienbesitz

Denn das Bild befand sich also seit der NS-Zeit durchgehend im Besitz der Familie Hagenauer: Den auch in den Klimt-Werkverzeichnissen erwähnten "Kunsthandel", aus dem das Bild "womöglich" in den "1960er-Jahren" in "Privatbesitz" gelangt sein soll, hat es folglich nie gegeben.

Zugleich legen diese Erkenntnisse nahe, welchem Zweig der Familie Lieser das Gemälde wohl einst gehörte, woraus sich theoretisch Ansprüche ableiten: eher solche der Rechtsnachfolger von Lilly Lieser, als jene von Adolf Lieser. Damit stellt sich neuerlich die Frage zur Identität der Dargestellten, aber auch zur einstigen Beauftragung.


Im Juli 1920 berichtete die "Österreichische Illustrierte Zeitung" über Helene Lieser, die als erste Frau in Österreich in Staatswissenschaften promoviert hatte. Ein damals publiziertes Foto zeigt sie auf den Stufen zum Garten in der Argentinierstraße 20.

Braunäugige Helene

Wer braune Augen hatte: Helene (Jg. 1898), Annies ältere Schwester, die 1920 als erste Frau in Österreich in Staatswissenschaften promovierte. Auch in ihrem Fall ist das über eine Reise in die USA dokumentiert, als sie 1947 ihre in Los Angeles lebende Schwester besuchte, wie der Ökonom Rahim Taghizadegan informiert.

Er forscht seit einiger Zeit gemeinsam mit dem Historiker Herbert Unterköfler für eine Biografie über Helene (verehelichte) Berger, die zu jenen Ökonominnen gehörte, die der bekannten Wirtschaftswissenschafter Ludwig von Mises einst förderte.

Von ihr fanden sich bislang nur zwei historische Fotoaufnahmen. Zum Abgleich mit dem Gemälde eignet sich jedoch nur das Passfoto eines Visums von 1957. Die Fotobearbeitungsanwendung Face App ermöglicht eine Verjüngung, die ein erstaunliches Detail in den Fokus rückt: die rechte Augenbraue, genauer eine kleine Fehlstelle oder Pigmentstörung, ein Merkmal, das auch auf dem Klimt-Gemälde ersichtlich ist. Die KI-basierte Alterung des Porträtausschnittes (via Deepgram) weist wiederum gewisse Ähnlichkeiten mit Gesichtszügen der knapp 60-jährigen Helene auf. Indizien, wo Fakten fehlen, immerhin.

English translation

Who was the sitter and why are findings from STANDARD research ignored?

A good ten days ago the valuable cargo arrived back in Vienna: Gustav Klimt's portrait of Fräulein Lieser, which was sent on tour abroad by the auction house "im Kinsky" before the auction on April 24th. To the place where the clientele is based who will be willing to offer at least 30, if not 50 million euros or even more.

In cooperation with the Liechtenstein LGT private bank, the work was held in London in mid-March, then in Geneva, Zurich and finally in Hong Kong. Fräulein Lieser now holds court in the Palais Kinsky on Vienna's Freyung and receives guests every day from ten a.m. to 5 p.m.

[Photos]
The result of AI-based aging of the 19-year-old portrayed shows similarities to Helene Berger (right), née Lieser.

Almost three months have passed since the discovery of the picture , which had been lost for around 100 years, and the planned sale became public. As much as the auction house may have tried to clarify the facts in advance, unanswered questions remain. Also on the identity of those depicted in 1917, which probably provides conclusions about the later ownership of the work, whose whereabouts from 1925 to the 1960s could not initially be reconstructed.

New clues

Margarethe Constanze Lieser, daughter of the industrialist Adolf Lieser, was the assumption published in the specialist literature since the mid-1980s. However, Kinsky research uncovered a new clue. The previously only known photo of the painting is based on a negative in the holdings of the Austrian National Library, on the envelope of which is noted "1925 in the possession of Mrs. Lieser, IV., Argentinierstrasse 20": the home address of Henriette "Lilly" Lieser, sister-in-law of Adolf Lieser and mother of Annie and Helene Lieser, who are also potential subjects.

The auction house could not and did not want to commit. This resulted in a restitution settlement with both communities of heirs and the current owner as the basis for the sale. The ratio in which the proceeds will be divided is unknown, as is whether the agreement reached months ago is now the subject of renegotiations due to more recent findings.

As reported (February 20), the unfinished and therefore unsigned painting appeared in November 1961 during a "relocation" in downtown Vienna, as the press reported at the time.

Illegal NSDAP member

Werner Hofmann was mentioned, who, as the designated founding director, had expressed interest in the Museum of the 20th Century (from 1962, later Mumok). Spoiler: Kinsky management was aware of this article. It was also discussed with the lawyers of the two groups of heirs, as it is now said upon request. It remains unclear why it was not taken into account in the auction house's provenance research.

In response to a STANDARD request, correspondence was found in the Mumok's house archives, which certainly provided information about events during the Nazi era, and at the same time also about the identity of the person who was "entrusted with custody" by the then owner, who had "perished in the gas chambers". " was commissioned for the picture. A certain Adolf Hagenauer, owner of a delicatessen shop and former illegal NSDAP member.

[photos]
Rejuvenation via the Face App highlights the missing eyebrow area

Hofmann tried in vain to get the painting on loan. As a letter from December 1961 shows, Hagenauer planned to pass it on to his daughter instead. And that's exactly how it should happen. She died at an old age last year and bequeathed the Klimt to a distant relative.

Valet Jürka

The auction house has now received the correspondence from the Mumok, but it was not mentioned in the updated catalog text. Instead, the STANDARD article is quoted cursorily, but not the facts contained therein. Also not the connection between Adolf Hagenauer and Lilly Lieser: a certain Jürka, who is mentioned as a witness in the restitution proceedings for her property at Argentinierstrasse 20, who worked for her as a servant from mid-1939 to December 1941.

According to new research, he not only looked after Lilly Lieser, but also her sister Ida Mankiewics, who had lived with her since March 1939. After the palace was sold in March 1941, the two of them had to move from the apartment to the basement, known as the basement. Both Lieser and Mankiewics were later deported and murdered: Lilly in Auschwitz, Ida in Theresienstadt.

Whatever Franz Jürka might have taken into custody was not put on record in the post-war years. According to the genealogist Georg Gaugusch, it was Adolf Hagenauer's father-in-law, a valet by profession, as can be seen from the registers of the Mariahilf parish from 1906. This closes a circle that may have caused some trouble for those currently involved in the sale of the painting.

Family-owned since the Nazi era

The picture has been in the possession of the Hagenauer family since the Nazi era: the "art dealer" also mentioned in the Klimt catalog raisonnés, from which the picture "possibly" came into "private ownership" in the "1960s". should, therefore, never existed.

At the same time, these findings suggest which branch of the Lieser family the painting once belonged to, from which theoretical claims can be derived: those of Lilly Lieser's legal successors rather than those of Adolf Lieser. This once again raises the question of the identity of those portrayed, but also of their previous commission.

[newspaper article]
In July 1920, the “Österreichische Illustrierte Zeitung” reported on Helene Lieser, who was the first woman in Austria to receive a doctorate in political science. A photo published at the time shows her on the steps to the garden at Argentinierstrasse 20.Anno, “Österreichische Illustrierte Zeitung” (July 4, 1920, p. 8)

Specifically: Would Lilly Lieser have had her niece or one of her two daughters portrayed by Gustav Klimt? In any case, the younger daughter Annie Lieser (born 1901) is eliminated as a candidate. As reported (February 4) , she had gray eyes, according to documents related to her immigration to the United States. However, those from “Fräulein Lieser” are hazelnut brown. Artistic freedom in the choice of eye color is excluded in a commissioned portrait.

Brown-eyed Helene

Who had brown eyes: Helene (born 1898), Annie's older sister, who was the first woman in Austria to receive a doctorate in political science in 1920. In her case, too, this is documented through a trip to the USA in 1947 when she visited her sister, who lived in Los Angeles, as the economist Rahim Taghizadegan informs.

For some time now he has been researching together with the historian Herbert Unterköfler for a biography of Helene (married) Berger, who was one of the economists who was once supported by the well-known economist Ludwig von Mises.

So far only two historical photos of her have been found. However, only a passport photo from a visa from 1957 is suitable for comparison with the painting. The photo editing application Face App enables a rejuvenation that brings an astonishing detail into focus: the right eyebrow, more precisely a small defect or pigmentation disorder, a feature that is also on can be seen in the Klimt painting. The AI-based aging of the portrait section (via Deepgram) in turn shows certain similarities with the facial features of the almost 60-year-old Helene. Evidence where facts are missing, at least.

 

https://www.dderstandard.at/consent/tcf/story/3000000215644/die-vielen-r228tsel-um-fr228ulein-lieser
© website copyright Central Registry 2024